Dialog mit den Nichtglaubenden

Papa Francesco / Eugenio Scalfari: Dialogo tra credenti e non credenti. (Edizioni Einaudi) Torino 2013, 174 p.

Eugenio Scalfari, Gründer und langjähriger Chefredaktor der linksliberalen Römer Tageszeitung «La Repubblica», repräsentiert jenen Typ des religiös unmusikalischen Bürgers, der in Italien mit «laico» bezeichnet wird. Der Dialog zwischen «laici» und «cattolici » hat in der Apenninenrepublik Tradition. Scalfari machte den Anfang, indem er sich im August 2013 in seiner Zeitung in respektvoller Weise an Papst Franziskus wandte und ihm eine ganze Reihe von Fragen stellte. Der Angefragte antwortete, danach wiederholte sich der Briefwechsel noch einmal. Prompt rief der Papst höchstselbst in die Redakton an und lud den verblüfften Scalfari zu sich ein. Der Kern des vorliegenden Büchleins bilden die zwei Anfragen Scalfaris, die zwei Antworten Bergoglios und die Aufzeichnung des Gesprächs der beiden. Dabei geht es um die Reform der Kirche, die Papst Franziskus in Angriff genommen hat, aber nicht vorrangig.

Der äussere Anlass für Scalfari bildet nämlich die Enzyklika «Lumen fidei», die der römische Publizist anders als einige mitteleuropäische Kommentatoren als Wiedergabe der Position Bergoglios betrachtet, da dieser seine Unterschrift unter das Dokument gesetzt hat.

Die Wahrheitsfrage

Zentral geht es also um die Frage nach der christlichen Wahrheit und ihrer Bedeutung für Nichtchristen. Scalfari betont, dass es für ihn als einen in der Aufklärung verwurzelten Intellektuellen so etwas wie eine absolute Wahrheit nicht geben könne. Franziskus antwortet, dass die Wahrheit des Glaubens keine absolute, das heisst keine losgelöste, vielmehr eine in Beziehung zwischen Mensch und Gott sich zeigende sei. Es wäre eine kolossale Fehlinterpretation, wollte man Papst Franziskus damit zu einem Vertreter jenes modischen schwachen Denkens machen, das das Christliche just in der Abschwächung absoluter Wahrheiten erkennen will. Bergoglio stellt mit aller Deutlichkeit klar, dass er nicht so verstanden werden will. Und der Papst fragt auch zurück, woran denn der Nichtgläubige Scalfari glaube.

Der Doyen der «laici» skizziert darauf seinen Glauben an das Sein, das Chaos sei, aber ständig Dinge aus sich generiere – eine krude Metaphysik, die jenen abstrakten Glauben an das «Leben» variiert, die auch hierzulande verbreitet ist. Mit feiner Ironie deutet ihm der Heilige Vater an, er müsse nicht gleich ein Kompendium seiner Philosophie liefern. So geht das Gespräch hin und her, respektvoll und ehrlich. Beide exponieren sich, hören einander zu und versuchen nicht, die Differenzen zu überspielen. Scalfari scheint ein echtes Interesse am Thema des Glaubens mitzubringen: Er fragt etwa, ob der christliche Gott denjenigen verzeihen könne, die nicht glauben. Franziskus antwortet, dass die Barmherzigkeit Gottes keine Grenzen kennt. Die Aufgabe für einen Nichtgläubigen bestehe darin, dem eigenen Gewissen zu folgen und ihm zu gehorchen. Die Sünde entstehe da, wo man gegen das Gewissen handle. Mit der Einführung des Gewissensbegriffs gelingt es dem Jesuiten, eine ethische Brücke zu den Nichtgläubigen zu schlagen – er weist so einen Weg, auf dem in Zukunft weitergegangen werden kann. Franziskus läuft aus dem Stand zur Hochform auf. Die einfache, aber unverzüglich zum Wesentlichen vordringende Sprache fasziniert Scalfari sichtlich. Die Frische und Authentizität des Menschen Bergoglio ist auch für den Leser mit Händen zu greifen und macht die Lektüre zu einem Vergnügen. Auch wird deutlich, dass dieses Gespräch kein zufälliges ist, im Gegenteil.

Die Wichtigkeit des Dialogs

Es gehört zu den Überzeugungen dieses Papstes, dass der Dialog mit der modernen Welt, den sich das Zweite Vatikanische Konzil auf die Fahne geschieben hat, fortgeführt oder besser neubelebt werden muss. Nur mit Bescheidenheit und Offenheit, nicht mit der Arroganz desjenigen, der sich im Besitze der Wahrheit wähnt, kann dieser Dialog gelingen, unterstreicht der Papst. Darin klingt eine unüberhörbare Kritik am Habitus vieler Kirchenfürsten an. Ja, das Oberhaupt der katholischen Kirche bekennt, dass er, konfrontiert mit klerikalem Gehabe, zum Antiklerikalen mutiere!

Dann folgt eine ganze Reihe von Stellungnahmen aus Theologie, Jurisprudenz, Publizistik und Philosophie von prominenten Beobachterinnen und Beobachtern. Sie dokumentieren die Aufmerksamkeit, mit der namentlich das säkulare Italien die Worte und Taten des Argentiniers auf dem Stuhl Petri registriert. Auch der Schriftsteller Guido Ceronetti, der als Einziger einen skeptischen Beitrag liefert, kommt am Ende seines Votums nicht umhin, das Licht zu begrüssen, das in «Oltretevere» zu leuchten begonnen hat. Im Dunkel des politischen Italien, so Ceronetti, stellt es eine Hoffnung dar, nicht nur für Gläubige.

Barmherzigkeit

Hans Küng hingegen will die neue Barmherzigkeit nicht nur für die materiell Armen einfordern, sondern auch für die geschiedenen Wiederverheirateten, für die Frauen, die entgegen der kirchlichen Lehre Empfängnisverhütung praktizieren, und für jene Priester, die in den Clinch mit dem Zölibat geraten sind. Küngs Wortmeldung ist übrigens die einzige aus Mitteleuropa.

 

Francesco Papagni

Francesco Papagni

Francesco Papagni ist freier Journalist. Er lebt in Zürich.