Der weltoffene Bruder Journalist aus dem Lötschental

Zum Tod von Br. Nestor Werlen OFMCap.

Ob ich damals, im Winter 1949/1950, als ich ins Kollegi Stans eintrat, schon wusste, wo Ferden liegt? Wohl kaum! Othmar Werlen, der kräftig gebaute Lötschentaler, unübersehbar im grossen Studiensaal mit den 150 Pulten, erklärte es mir. Ferden war seine Heimat. Hier wuchs er, 1932 geboren, mit fünf Geschwistern auf. Der Vater meinte, er solle als Ältester zu Hause bleiben und ihm helfen. Doch Othmar wollte studieren und Kapuziner werden – und er wurde es. 1953 meldete er sich im Wesemlin. Auf Wunsch der Obern nahm er den Ordensnamen Nestor an. Der Name passte! Schon früh meldete sich das Interesse an Geschichte und Journalismus. Daher ermöglichten ihm die Obern nach der Ordensausbildung ein Weiterstudium in Freiburg i. Ü., Bonn und Zürich. In Freiburg schloss er in Kirchengeschichte ab – Grundlage einer vielfältigen Lehrtätigkeit. Sie begann am ordenseigenen Studium in Solothurn. Mitbrüder erzählen noch heute, wie lebendig und fundiert sein Unterricht gewesen sei. Nur eines sei ihm nie gelungen – sich zu beschränken!

In den 1970er-Jahren «dozierte» Nestor Werlen eine Zeitlang am Kollegium Stans Geschichte. Der Kapuziner- Archivar Christian Schweizer erinnert sich: «Er kannte die Quellen und schöpfte aus ihnen und stellte den Gegenwartsbezug her. Sein Stil glich dem eines Seminarbetriebs an der Uni: Wir lernten mit Quellen umzugehen, wissenschaftlich zu analysieren, kritisch zu beurteilen.» Ähnliches könnten Teilnehmer des damaligen Katechetischen Instituts in Luzern und Zuhörer vieler Vorträge berichten. «Seine Begeisterung zu erleben, war für die Zuhörer ebenso wichtig wie der Inhalt », hielt Br. Beat Pfammatter beim Abschied in Brig fest. Doch die nächste Etappe gehörte dem Schreiben. Schon früh besass Br. Nester einen Presseausweis – und wurde darum in den Ostblock geschickt, um mit untergetauchten Kapuzinern Kontakt aufzunehmen. Eine Reise, die prägte! Ebenso wichtig wurde sein Amt als Pressechef während der Synode , 72. Kaum einer war dazu befähigter als er, weil er Kommunikation über alles liebte.

Es ist wohl seiner menschenfreundlichen Lebensart zuzuschreiben, dass er sich später sogar als Feldprediger verpflichten liess. «Militärische Disziplin und Gehorsam waren nicht seine Stärken», stellte Br. Beat fest. Es war die Seelsorge, die ihn trieb, das Zwiegespräch mit den Soldaten, das ihn herausforderte. Von grosser Bedeutung wurde der Sommer 1977. Auf Bitte des Verlags wurde er für sechs Jahre «Vaterland»- Kirchenredaktor. Es sei für ihn eine der reichsten und interessantesten Aufgaben gewesen, gab er gelegentlich zu erkennen. Er fühlte sich wohl im Kreise der Kolleginnen und Kollegen, und er konnte aus dem Vollen seines Fachs schöpfen, konnte aber ebenso bei vielen anderen Fragen mithalten und dabei sein Netzwerk aktivieren. Es war ein Glücksfall für Redaktion und Leser, dass in diesen Jahren ein erfahrener Theologe am Schreibpult sass und die Geschehnisse in Kirche und Welt begleitete.

Es waren die Jahre der drei Päpste (Paul VI., Johannes Paul I., Johannes Paul II.), und es war die Zeit heftigster Auseinandersetzungen um die Professoren Herbert Haag und Hans Küng. Luzern glich einem Epizentrum kirchlicher Diskussionen. Mitten im Sturm – wie wir diese Zeit erlebten – behielt Nestor Werlen die Ruhe des Berglers und des erfahrenen Kirchenhistorikers, wirkte aber in seiner klaren, verständlichen Sprache bestimmt und fordernd. Nicht verwunderlich, dass ihm oft Feindseligkeit entgegenschlug. Es war für ihn eine Erleichterung, nach den bewegten Jahren und nach den internen Turbulenzen das «Vaterland» verlassen zu dürfen und neuen Aufgaben nachzugehen. Doch er blieb Journalist, berichtete für die «Schweizerische Kirchenzeitung», die KIPA und seinen «Walliser Boten» (WB) über die Bischofssynoden in Rom – mit bewundernswerter Übersicht! –, über die Situation der Kirche in östlichen Ländern und über das Papsttum. Seinem Fach blieb er bis zuletzt treu. Noch im März, vor der letzten Papstwahl, schrieb er im WB seine eigene Papstgeschichte weiter. Nestor Werlen wirkte immer auch als Seelsorger, war oft auf «Aushilfe» und blieb für viele ein gesuchter Gesprächspartner, offen und klug. Dank seinem Wesen, seinem Werdegang, dank Studium und zahlreichen Reisen war er ein weltoffener Mensch – und ein durch und durch liebenswürdiger Priester und Kollege, den wir nicht vergessen werden. Er ruhe im Frieden des Herrn! 

 

Alois Hartmann

Alois Hartmann (geboren 1936) war ein Leben lang politisch und journalistisch tätig, u. a. von 1978 bis 1982 Chefredaktor des «Vaterland».