Der spirituelle Sindbad der Seefahrer

Es gibt viele Schutzpatrone, die von Seefahrern angerufen werden. Einer davon ist der heilige Brendan. Er ist der Lieblingsheilige von Thomas Markus Meier.

(Kartenausschnitt: Bodelian Library, University of Oxford 2020)

 

So Ende Primar- oder Anfang Bezirksschule las ich Paolo Brennis Lebensbeschreibungen christlicher Vorbilder und war tief beeindruckt. Bei einigen bin ich mir sicher, bei anderen weiss ich nicht mehr, ob mich die Erinnerung täuscht oder ob ich die Namen anderswoher hatte. Jahre später jedenfalls kam im Lehrerseminar die nicht nur rühmliche Rolle der kirchlichen Hierarchie in Nazi-Deutschland zur Sprache. Und ich besann mich an Brennis Bericht über Clemens August Graf von Galen. Es gibt auch Gegenbeispiele, konnte ich gegensteuern. Es gibt Alternativen. Heilige eben.

Als in der Redaktionskommission die Idee aufkam, seinen Lieblingsheiligen vorzustellen, war meine Wahl rasch klar: Keines der Vorbilder aus meiner Jugendzeit. Zumal einige mittlerweile auch schmählich demontiert worden waren; allerdings weiss ich, wie gesagt, nicht mehr, ob der berühmte und berüchtigte «Speckpater» auch schon von Brenni beschrieben worden war. Auch dünken mich Heiligsprechungen heutzutage mehr und mehr aus der Zeit gefallen, inflationär und verpolitisiert. Wie sich aus dem weissen Dominikanerhabit einst die weisse Soutane des Papstes entwickelte, könnte ich mich durchaus mit einer neuen Tradition anfreunden: dass Päpste nämlich aufhörten, ihre Vorgänger gleichsam weisszuwaschen und heiligzusprechen. Zumal Menschen, Vorbilder, heute auch ohne Segen von oben beeindrucken. Umstrittene Figuren hingegen bleiben wohl auch nach einer Seligsprechung kontrovers diskutiert.

Heilige sind anders, hatte ich bei Paolo Brenni gelernt, und konnte damit bei Bedarf gegensteuern, in andere Gewässer fahren. Heute sehe ich manche Untiefen der Kirchengeschichte zwar anders, weniger verklärt wie im jugendlichen Idealismus – aber in anderes Fahrwasser kommen kann ja auch heissen, sich durch Sturm und Gegenwind aufrütteln lassen. Heilige Frischluft, die den Kopf durchlüftet.

Unruhigem Gewässer setzte sich auch der heilige Brendan aus. Historisch gibt es den irischen Abt Brendan aus dem 6. Jahrhundert. Er zählt zu den zwölf Aposteln Irlands. Wirkmächtiger aber wurden seine zahlreichen Legenden, berühmt die «Navigatio Sancti Brendani». Mit zwölf Gefährten bricht er auf, navigiert, richtet sich aus nach den Verheissungen für ein seliges, alternatives Leben.

Eine erste Ausfahrt mit lederbespannten Schiffen scheitert, denn zielführend sei es nicht, auf Kosten toter Tiere vorwärts zu kommen. Erst Holzschiffe führen weiter. Ein Heiliger nicht auf Anhieb, sondern in mehreren Anläufen sozusagen. Das spirituelle Abenteuer, sich Wind und Wellen auszusetzen, auch mal bewusst ohne zu steuern, treibend, das wird dann zum Bild für einen Aufbruch, wo nicht von Anfang an klar ist, was erreicht werden kann und was nicht. Die Sehnsucht steuert, es gibt keine Seekarte mit Verboten und Stopp-Schildern.

Apropos Seekarten: Von Brendan scheinbar entdeckte Inseln wurden lange in nautischen Karten verzeichnet und einfach immer weiter westwärts eingezeichnet, wo die Realität anderes zeigte. Fiktive, literarische Inseln also fanden den Weg in Seekarten zum Gebrauch, Wegleitungen übers Wasser. Eine «gespunnene Idee» gibt den Weg vor. Heilige kennen keine Denkverbote.

Im Bild links sehen wir einen Ausschnitt der Weltkarte des osmanischen Admirals Piri Reis von 1513. Sie zeigt die vielleicht berühmteste Episode von Brendans Fahrten: Die Ostermesse auf dem Rücken eines Walfischs. Brendan: ein spiritueller Sindbad der Seefahrer. Ein Abenteurer, der dem Undenkbaren nicht ausweicht. Der ins Ungewisse segelt. Sich nicht einmauert im Ist-Zustand. Nicht träumt vom Zurück ins Früher. Brendan, ein Heiliger des Aufbruchs. Unterwegs bleiben statt erstarren. Neuland für die Kirche. Segel setzen, wenn die Geistkraft weht.

Thomas Markus Meier

 

In der Serie «Lieblingsheilige» berichten die Redaktorinnen und die Redaktionskommissionsmitglieder der SKZ in loser Folge über ihre Lieblingsheiligen.


Thomas Markus Meier

Dr. theol. Thomas Markus Meier (Jg. 1965) arbeitet als Pastoralraumleiter der Pfarrei St. Anna Frauenfeld, ist Präsident des Diözesanverbandes Basel des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und Mitglied der Redaktionskommission der SKZ.