Der absolute Wert der menschlichen Person

Foto: Stephan Schmid-Keiser

Was waren das für Politiker, die das zerstörte Nachkriegseuropa wiederaufgebaut haben? Ein kleines Buch über den langjährigen Bürgermeister von Florenz und mustergültigen Democrazia-Cristiana-Politiker Giorgio La Pira gibt Aufschluss.1

La Piras formative Jahre fallen in die Zeit des italienischen Faschismus. Der junge Katholik kommt als Student an die Uni Florenz und wirkt dort anschliessend als Professor für Römisches Recht. Der katholische Studentenverband FUCI, wo der talentierte junge Mann auffällt, war einer der ganz wenigen Organisationen, die vom Regime nicht gleichgeschaltet waren; dies als Folge der Lateranverträge, die der Kirche eine Sphäre der begrenzten Autonomie zubilligten. In dieser Zeit kommt er mit Monsignore Montini in Kontakt, dem späteren Paul VI. Es entwickelt sich eine echte Freundschaft. La Pira liest Thomas von Aquin, Blondel und Maritain. Der absolute Wert der menschlichen Person wird zu einem Fixpunkt seines Denkens. Als tiefgläubiger Mensch organisiert er heilige Messen für die Entrechteten – geistiges Brot und danach leibliches ist seine Losung. Tausende folgen der Einladung.

Der Wiederaufbau von Florenz

Nach der Befreiung Italiens wird der Rechtsprofessor in die verfassungsgebende Versammlung gewählt, wo er von allen Seiten Respekt und Anerkennung erntet, weil er auf die andere Seite zugehen kann und nicht stur auf seinen Positionen beharrt. Nach einem Intermezzo als Staatssekretär in Rom schlägt seine Stunde, er wird zum Bürgermeister von Florenz gewählt. Sein ausserordentliches Engagement für die Armen war damals weitherum bekannt. Die Arnostadt war durch den Krieg stark getroffen: Alle Brücken ausser dem Ponte Vecchio waren gesprengt, viele Häuser hatten Schäden erlitten. Der neugewählte Bürgermeister tut sein Bestes, um die grösste Not zu lindern. Unter seiner Präsidentschaft werden ganze Quartiere gebaut.

Politik und Prophetie

Neben diesem sozialen Einsatz setzte sich der heilige Bürgermeister, wie er nun genannt wurde, für Frieden und Dialog ein. Sein 1955 einberufener Kongress der Metropolen wurde – im Kalten Krieg bemerkenswert – auch von Delegationen aus dem Ostblock besucht. In diesem Ereignis lässt sich ein hervorstechender Charakterzug dieses Christdemokraten erkennen, seine prophetische Kraft. Es ist diese Energie, der ihn zu einer weiteren Initiative drängt, den Mittelmeer-Dialogen. Am Mittelmeer, so seine Überlegung, leben seit je Juden, Christen und Muslime. Florenz zu einem Ort eines grenzüberschreitenden Dialogs machen, das war La Piras Vision. Und er hatte Erfolg damit. Giorgio La Pira war ein Brückenbauer und ein Katholik, der die Sendung der Laien ernst nahm. Ein vorbildlicher Christdemokrat, ein Mann aus einer anderen Zeit.

 

 1 Luca Micelli: Giorgio La Pira. Un profeta prestato. Todi 2016.

Francesco Papagni

Francesco Papagni

Francesco Papagni ist freier Journalist. Er lebt in Zürich.