Das Priesterseminar - kein Auslaufmodel

Weltweit steigen die Zahlen der Christgläubigen und die der Berufungen zum Priesterberuf: besonders in Ländern der südlichen Hemisphäre wie in Afrika, Indien, China und Korea, nicht aber in Europa, wo sie rückläufig sind.

Der Rückgang der Priesterkandidaten hat in einigen Diözesen des deutschsprachigen Raums zur Schliessung von Priesterseminaren geführt und zur Entsendung der Alumnen in benachbarte Diözesen: Bamberg - Würzburg; Passau - Regensburg; Trier - Frankfurt/Limburg; Basel - Freiburg i. Br. Andere Diözesen konzipieren ihr Priesterseminar neu, reorganisieren die geistlichen Angebote und die Möglichkeiten der Unterkünfte, beziehen weitere Berufsgruppen (Interessenten, Laientheologen, Katecheten) ein und entwickeln ein zeitgemässes Seminar auf Zukunft hin. Gerhard Schneider (*1964), Rektor des theologischen Propädeutikums der Diözese Rottenburg-Stuttgart, zeichnet die einschlägige Entwicklung in souveräner Weise nach und tritt überzeugend für eine moderne Flexibilisierung und Vernetzung der Seminare ein.1

Klärung der Berufung – Erfahrung von Gemeinschaft

Im referierenden Teil von den Anfängen der Priesterseminare bis hin zu den Verlautbarungen über die Seminarausbildung in jüngster Zeit, Optatum totius 1965, CIC 1983, Pastorem dabo vobis 1992, der «Rahmenordnung» 2003 und «Amoris Laetitia» 2016 zieht sich als roter Faden die Feststellung durch, dass Priesterseminare für die katholische Kirche «notwendig» sind. Sie dienen der Klärung der Berufung, der Erfahrung der Gemeinschaft, der theologischen und geistlichen Ausbildung, wobei Erstere auch an staatlichen Fakultäten erworben werden kann. Ferner dienen sie dem Erleben der diözesanen Identität und der Einübung in die künftige Kooperation mit allen im kirchlichen Dienst Tätigen. Ausnahmen werden mitbedacht: die zunehmende Zahl von Spätberufenen und Quereinsteigern, die nicht «mindestens vier Jahre» Seminar absolvieren müssen, die Begabtenförderung zur Promotion oder externe Studien zur Erprobung der Berufung. Schneider thematisiert auch die Schwierigkeiten der Seminare: Einübung in bloss rubrizistisch äusserliche Frömmigkeit, Anerziehen eines elitären Bewusstseins der Klerikalisierung, Sammlung homophil veranlagter Kandidaten und Förderung einer homotropen Kultur. Klar ist, dass die Vorstellung des Priesterbildes entscheidend ist für die Ausrichtung eines jeden Seminars. Wird eher für ein sakrales, vertikales, am Opferpriester orientiertes Bild optiert oder für ein eher praxis- und gemeindeorientiertes horizontales Priesterbild oder für Priester als Manager in Pastoralräumen oder für ein einfühlsames, seelsorgerliches begleitendes Priesterbild?!

Resonanzraum

Weshalb Schneider «in dubio pro seminario» eintritt, sind seine überlegenswerten neuen Vorschläge eines Seminars als «Ermöglichungsort» für die Kirche der Zukunft. Zunächst soll das Seminar ein «Resonanzraum» sein, um Reifungen und Klärungen zu ermöglichen (135). Denn die Berufung zum Priester geht oft in die Jugend zurück und bedarf der Läuterung. Sie dauert bis zum Tag der Diakonenweihe und braucht sensible Gesprächspartner. In diesem Sinne schlägt Schneider ein Orientierungsjahr mit Basiskursen, Sprachkursen, freiwilligen Praktika und geistlichem Programm vor. In einem propädeutischen Jahr der bereits Entschiedenen geht es um die Einübung in die priesterliche Identität und um die Erfahrung gelebter Glaubensgemeinschaft, um theologische und geistliche Studien. An einigen Orten kommt es zu Überlappungen einzelner Module. Stark befördert Schneider das Verständnis eines Seminars als «geistliches Zentrum unterschiedlicher Berufsgruppen» (160). Hier würden die Priesterkandidaten als eine von vielen Ausbildungsgruppen leben, durchaus eigene Angebote wahrnehmen, aber umgeben sein von Gruppen von Pastoralreferenten bzw. -assistentinnen, Katechetinnen, ständigen Diakonen und weiteren Leuten in Ausbildung. Es gäbe sowohl Differenzen, Gemeinsamkeiten wie auch Kontaktmöglichkeiten, nicht zuletzt im Hinblick auf eine künftige Kooperation. Das wäre ein sinnvoller Einbezug späterer Laientheologinnen und -theologen, auch wenn diese kürzere Zeitabschnitte im Seminar lebten. Schliesslich könnte das Seminar ein «berufungspastoraler Ort von hoher Relevanz» mit «Kurzzeitgästen oder Zaungästen» (129) sein, welche für sich selbst Klärung in der Entscheidung suchen. Insgesamt kommen die Vorschläge in die Nähe des Seminarverständnisses, welches das Zweite Vatikanische Konzil genannt hat, nämlich als «Herz der Diözese» (Optatam totius 1).

Im Buch von Schneider können die Verantwortlichen viele Ideen zur Neukonzipierung mit Synergieeffekten und Kooperationen lernen. Jedenfalls ist keine Spur von Resignation aus dem Buch herauszulesen!

 

1 Gerhard Schneider, Auslaufmodell Priesterseminar? Neue Konzepte für eine alte Institution, Freiburg 2016. Zahlen in Klammern verweisen auf Seiten der hier besprochenen Publikation.

Stephan Leimgruber

Stephan Leimgruber

Dr. Stephan Leimgruber ist seit Februar 2014 Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und zuständig für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung. Bis zu seiner Tätigkeit in Luzern war er Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät in München.