Buch zum Fest der Menschwerdung

Das Fest der Menschwerdung | © Herder Verlag

«Alle Jahre wieder» kommt nicht nur das Christuskind, sondern wegen ihm oder neben ihm auch die Weihnachtszeit. Weihnachten ist das festlich und rituell ausgestaltete Ereignis, das kirchliches Leben, aber auch Kultur und Gesellschaft am stärksten prägt.

Während der Advent auf eine reich entfaltete Weihnachtszeit vorbereitet, die bis in das neue Kalenderjahr1 hineinreicht, ist das gesellschaftliche Fest mit den Feiertagen bereits zu Ende. Der Advent ist zur vorgezogenen Weihnachtszeit geworden.2 Es begegnen ganz unterschiedliche Inhalte, mit denen das Weihnachtsfest gefüllt ist: Der Feier der Menschwerdung des Gottessohnes Jesus von Nazareth als Erlöser steht eine allgemein und vielleicht zunächst nur innerweltlich verstandene Menschwerdung gegenüber.3 Weitere Beobachtungen4 werden zur Herausforderung für Kirche und Theologie, auf die der Freiburger Liturgiewissenschaftler Stephan Wahle (*1974) mit seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 2015 antwortet.5 Dabei nimmt er die kulturelle Ablösung des Weihnachtsfests von seinen kirchlichen Ursprüngen als eigenständige gesellschaftliche Feiergestalt6 wahr und zeichnet die Transformationsprozesse von Weihnachten in Kultur und Gesellschaft nach.

Forschungsansatz: Weihnachten als «heilige Zeit»

Weihnachten ist in der heutigen Gesellschaft weiterhin eine «heilige Zeit» (297), auch wenn «heilig» semantisch unterschiedlich begründet ist. Die Zielsetzung formuliert der Verfasser wie folgt: «Dieses Buch stellt sich der Herausforderung, nach den Gründen für die Akzeptanz wie auch für die Kritik des Weihnachtsfestes in einer pluralen Gesellschaft zu suchen und seine theologisch-anthropologische Bedeutung (neu) zu bestimmen» (13).7

Von der Ostererfahrung zur Feier von Weihnachten

Im ersten Teil werden die biblischen und historischen Grundlagen des Weihnachtsfestes dargestellt (43–138). Es überrascht zunächst, dass der Autor bei den Ostererfahrungen als «Fundament und Kern des christlichen Glaubens» (46) ansetzt.8 Darauf aufbauend skizziert er die Entwicklung der Geburtsfeste Jesu Christi («Weihnachten» und «Epiphanie») in West und Ost bis hin zur Entstehung des Weihnachtsfestkreises. Die Entfaltung von Theologie und Liturgie des Weihnachtsfestes als zweiter Teil (139– 225) stellt den Mittelpunkt der Überlegungen dar. Neben einer «theologischen Verhältnisbestimmung von Ostern und Weihnachten»9 stellt S. Wahle die konkrete Feiergestalt der Weihnachtsliturgie umfassend und anschaulich dar. Daraus leitet er Kriterien und Optionen für eine liturgische Vielfalt ab.

Kulturelle Ausprägung von Weihnachten

Im dritten Teil verlässt der Verfasser den liturgie-theologischen Binnenraum und wendet sich der Ausprägung des Weihnachtsfestes in Kultur und Gesellschaft zu (227–333). Dabei betrachtet er weihnachtliches Brauchtum in vielfältiger Ausgestaltung, zeichnet die Entstehung der häuslichen Weihnachtsfeier nach, wirft einen Blick über den deutschsprachigen Kulturkreis hinaus auf die globale Ausgestaltung von Weihnachten und widmet den Weihnachtsliedern als Spiegel von Glaubenserfahrungen und Deutungsmustern einen eigenen Abschnitt.

Ein unverzichtbares Buch für die Gestaltung von Weihnachten

Wahle legt ein umfassendes Kompendium zum Weihnachtsfest vor. Methodisch ist bemerkenswert, dass er Theologie, vor allem Liturgie und Kultur gleichberechtigt miteinander ins Gespräch bringt. Damit weist er sich als auf der Höhe der liturgiewissenschaftlichen Forschung stehend aus, wenn in ihr neben der Hochform kirchlich geordneter Liturgie zunehmend weitere Quellengattungen wie Bräuche, Riten und Gestaltungen von Festen ausserhalb der Kirchenmauern in den Blick kommen.10

Die Aufmachung des Buches weckt Neugierde und ist in eine Sprachgestalt gebracht, die hohe wissenschaftliche Reflexion mit dem leitenden Interesse verknüpft, die Erkenntnisse einem breiten Publikum zu erschliessen. Der Lesefluss wird erleichtert, indem die unverzichtbaren Anmerkungen am Ende des Buches gesammelt sind. Das Buch darf in keiner Pfarrbibliothek fehlen! Leserfreundlich und ergänzt mit vielen Bildern und Grafiken nimmt es die pastoralen Chancen für die Gestaltung von Weihnachten in postmodernen Zeiten vertiefend in den Blick.

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Stephan Wahle: Das Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft. Freiburg, Basel, Wien, 2015.

 

 

1 Die liturgische Weihnachtszeit endet mit dem Fest «Taufe des Herrn», das am Sonntag nach «Erscheinung des Herrn» («Dreikönig») gefeiert wird (8. 1. 2017).

2 Ein kursorischer Blick über die Bezeichnung der entsprechenden Anlässe bestätigt diesen Befund.

3 Sehnsucht nach einer besseren Welt, Hoffnung auf gerechtere Lebensumstände und eine humanere Gesellschaft. Der Verfasser identifiziert Advents-und Weihnachtsmärkte als «Sehnsuchtsorte in der Öffentlichkeit» (251). Vgl. dazu auch die vielen Spendenaktionen in diesem Zeitraum.

4 Wie zuletzt die theologische Frage nach dem Verhältnis von Ostern und Weihnachten.

5 Stephan Wahle: Das Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft. Freiburg, Basel, Wien, 2015.

6 Vgl. die Fülle von Bräuchen und Symbolen wie Krippe, Tannenbaum und Märkte.

7 Die Überlegungen streifen grundlegende Aspekte: die Rede von der Person Jesus Christus, ihre Bedeutung für den Glauben, den Eigenwert des Inkarnationsgeschehens gegenüber dem Ostergeschehen («Paschamysterium») aber auch die Frage nach dem Verständnis von Mensch und Welt insgesamt (vgl. ebd.).

8 Wer nach Wahle «Jesus von Nazareth verstehen will … an ihn als Gottes Sohn, als Retter der Welt glauben will, wer den Grund seiner Menschwerdung und den Gegenstand der Erlösung bestimmen will, der muss also zunächst bei den biblischen Überlieferungen des Ostergeschehens ansetzen und kann erst danach Inhalt und Aussageabsicht der Weihnachtsevangelien fragen» (46). Paulus und Markus als die beiden älteren Schriften weisen nämliche keine Geburtserzählungen auf.

9 Im Hintergrund steht die pastoral sensible Wahrnehmung, dass der Zugang zum Christusgeschehen über die Krippe zugänglicher erscheint.

10 Der Verfasser übernimmt die von Balthasar Fischer geprägte Differenzierung «Liturgie ergänzende Feiern» (36 f.).

Jörg Müller (Bild: unilu.ch)

Jörg Müller

Dipl. theol. Jörg Müller ist Assistent am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Theologischen Fakultät der Universität Luzern