Brasilien - Jesuiten als Fussballpioniere

Der Fussball spielt in Südamerika auch im Leben der Kirche eine wichtige Rolle. Die Jesuiten, Pioniere der Kirche und der Kultur in Brasilien, haben nach neuesten historischen Forschungen auch den modernen Fussball in dieses Land gebracht. Heute steht die brasilianische Kirche jedoch auf der Seite der Opfer des Fussball-Gigantismus und der grenzenlosen Kommerzialisierung der «schönsten Nebensache der Welt». Die brasilianische Bischofskonferenz CNBB hat zur Fussball-Weltmeisterschaft im eigenen Land unter dem Leitwort «Jogando pela vida» (Spielen für das Leben) einen eigenen Fussball-Hirtenbrief verfasst und damit unter Beweis gestellt, welch wichtige Rolle der Fussball im Leben der Kirche spielt. Aber auch umgekehrt hat die Kirche in Brasilien viel zur Entwicklung und Popularisierung des Fussballs beigetragen.

Fussball schon bei den Guarani-Indianern

Nach Briefen des Jesuiten José Manuel Peramás SJ aus dem 18. Jahrhundert kannten die Guaraní-Indianer ein Ballspiel, das dem heutigen Fussballspiel ähnelte. Es wurde mit einem Gummiball gespielt, der nur mit den Füssen getreten werden durfte. Es wurde nur zu festlichen Anlässen gespielt, und nicht in Mannschaften, sondern alle gegen alle. Pater Peramás war Katalane und lebte bis zur Vertreibung der Jesuiten 1773 in den Paraguay-Missionen der Jesuiten. Jesuiten haben jedoch auch nach dem Untergang ihres Jesuitenstaates in Paraguay und nach der Schliessung ihrer Reduktionen in Südamerika, sozusagen als frühe «global players» eine entscheidende Rolle bei der Einführung des Fussballsports in Brasilien gespielt.

Nach Forschungen des Historikers José Morais Neto von der Päpstlichen Universität São Paulo, die während der in Brasilien stattfindenden Fussball-Weltmeisterschaft vorgestellt wurden, fand auch das erste moderne Fussballspiel in Brasilien 1886 im 1861 gegründeten Jesuitenkolleg São Luís in Itú bei São Paulo statt. Die Forschungen von Morais Neto entkräften die bisherige Annahme, dass der Fussballsport, der um 1863 in Grossbritannien entstanden ist, vom britisch-brasilianischen Geschäftsmann Charles Miller um 1893 von Grossbritannien aus nach Brasilien gebracht worden sei. Die Oberschicht der kolonialen brasilianischen Gesellschaft hatte im 19. Jahrhundert die Gewohnheit, ihre Söhne auf Ordensschulen und Internate ausserhalb der grossen Städte Rio und São Paulo zu schicken. Zu diesen gehörte das Jesuitenkolleg in Itú bei São Paulo. Zwischen 1877 und 1893, als Brasilien das Ziel vieler europäischer Einwanderer war, gingen einige Lehrer des Jesuitenkollegs von Itú nach Europa an die dortigen Jesuitenschulen, um neue Lehrpläne für ihre Schulen und vor allem für die Freizeitgestaltung in den Internaten zu entwickeln. Bei diesen Reisen lernten die brasilianischen Jesuiten auch den neuen Sport Fussball, der sich wie ein Lauffeuer von England aus auf dem gesamten europäischen Kontinent ausgebreitet hatte, kennen und brachten zwei Lederbälle mit nach Brasilien. Unter der Leitung von Pater José Mantero SJ, dem Rektor des Kollegs São Luís, wurde der Ballsport in seiner Schule eingeführt. Allerdings war Fussball zunächst kein Mannschaftssport, sondern wurde einzeln an eine Wand gespielt. Erst der Franziskaner Manuel Gonzalez vom Franziskanerkolleg in Petrópolis brachte 1893 die Regeln dieses Sports aus Europa mit.

Arthur Friedenreich, der erste Ballkünstler Brasiliens

Die Kirche Brasiliens förderte den Fussball in den kirchlichen Schulen und Internaten, weil man hoffte, durch den Ballsport die aus der langen Kolonialzeit tief verwurzelten ungerechten sozialen Strukturen und die Rassenschranken besser überwinden zu können. Dies dauerte jedoch noch eine Zeitlang, denn bis 1930 blieb Fussball eher ein Sport der Weissen und Reichen. Dass sich dies änderte, war vor allem dem ersten Fussballkünstler Brasiliens, Arthur Friedenreich (1892–1969), dem Sohn eines Brasiliendeutschen aus Blumenau und einer dunkelhäutigen Brasilianerin aus São Paulo, zu verdanken. Friedenreich gelang es mit Geschick, Begabung und Tricks, die Domäne des weissen Fussballs zu brechen. Friedenreich bekam als erster brasilianischer Fussballer einen Künstlernamen, Fried, er machte den Sport zu einer Kunst, obwohl er als Mischling vom Staatspräsidenten daran gehindert wurde, in der Nationalmannschaft zu spielen. Nach ihm entdeckten auch die Afrobrasilianer und Favelabewohner ihre Freude am Fussball, und so eroberte dieser die Strassen und Plätze Brasiliens, wurde zum spontanen Ausdruck des Lebensgefühls der Benachteiligten. Dieses Gefühl nutzte Präsident Getulio Vargas, der sich 1930 an die Macht geputscht hatte, dazu, um aus dem Fussball und dem Karneval erstmals in der Geschichte Brasiliens so etwas wie ein Nationalgefühl zu erzeugen. Auch bei diesem gesellschaftlichen Jahrhundertprojekt stand die Kirche in der Person von Sebastião Kardinal Leme von Rio und Erzbischof João Batista Becker von Porto Alegre hinter dem damaligen Staatspräsidenten, der der Kirche im Gegenzug wieder eine stärkere Stellung in der Gesellschaft gewährte. Erst als der Fussball seit der verlorenen Fussball-Weltmeisterschaft 1950 im eigenen Lande zu einem Massenphänomen in Brasilien wurde, mit immer mehr pseudoreligiösen Zügen, überkam einzelne Kirchenvertreter eine gewisse Skepsis bezüglich der «schönsten Nebensache der Welt».

Als durch den Militärputsch 1964 Brasilien für 21 Jahre unter eine undemokratische Militärherrschaft kam, nutzten auch die Militärs den populären Sport als Mittel zur Selbstdarstellung und besseren Kontrolle der Gesellschaft. Für den brasilianischen Fussball war diese Zeit die erfolgreichste, denn zwischen 1958 und 1970 gewann Brasilien dank des Ausnahmespielers Pelé dreimal die Weltmeisterschaft. Brasilien war damit an der Weltspitze des Fussballs angekommen. Die Folge war eine rasante Kommerzialisierung und Professionalisierung des Ballsports, die immer noch nicht zu Ende ist, deren Auswüchse jedoch auch im fussballbegeisterten Brasilien immer mehr Menschen gegen die FIFA und die Fussballfunktionäre, die eher Wirtschaftsbossen gleichen, auf die Strasse bringen. Die brasilianische Kirche, das zeigte der Hirtenbrief der Bischofskonferenz zur «Copa», steht heute hinter diesen Menschen, dies, weil sie wegen eines Stadionbaus oder dem Ausbau der Infrastruktur ihre Wohnungen oder auch als Prostituierte ihre Würde verloren haben und zum Opfer des Fussballgigantismus in Brasilien geworden sind.

 

 


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».