Aufstehen und Auferstehung

Über dem Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus liegt ein besonderer Segen, der aussergewöhnliche Segen des Anfangs: Die Bekanntgabe der Papstwahl und der anschliessende erste Auftritt von Franziskus am Abend des Wahltages auf der Benediktionsloggia des Petersdomes sorgten schon am 13. März 2013 für besonderes Aufsehen, gefolgt von der unerwarteten Messe des Papstes in der kleinen St.-Anna-Kirche am darauffolgenden Sonntag und der Inaugurationsmesse am Josefstag, dem 19. März 2013. Das Interesse am neuen Papst und an der katholischen Kirche manifestiert sich seither in einer äusserst umfangreichen Berichterstattung, in vielen Sympathiebekundungen, auch in Diskussionen über das bisherige Leben und Wirken von Jorge Maria Bergoglio in Argentinien.

Zur Physiognomie des Anfangs

Als am 13. März 2013 der Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran kurz nach 20 Uhr den Namen des neuen Papstes verkündete, war die Überraschung sehr gross: Auch wenn Jorge Maria Bergoglio bereits bei der Papstwahl von 2005 als valabler Kandidat hervorgetreten war, konnte man nicht damit rechnen, dass 2013 der gleiche Kardinal, nun acht Jahre älter, als Papst aus dem Konklave hervorgehen würde. Das fortgeschrittene Alter des Papstes hat aber den Vorteil, dass dieser die Zeit gut nutzen muss. Ebenso überraschend war der erste Auftritt des Papstes rein vom Äusserlichen her. Papst Franziskus begrüsste die im Regen Ausharrenden mit einem schlichten «Buona sera». Und vielleicht dauerte das Warten so lange, weil der Papst beim Anziehen der neuen Gewänder dem päpstlichen Zeremoniär Guido Marini klarmachen musste, dass nun die Zeit der prunkvollen und altertümlich wirkenden Gewänder aus der Zeit Benedikts XVI. vorbei ist. Ob der Papst seinem Zeremoniär wirklich gesagt hat: «Der Karneval ist vorbei», wie in den Medien gemutmasst wurde, muss offenbleiben: «Se non è vero, è ben trovato» hat auf alle Fälle seine Richtigkeit, und der Papst trägt bei seinen Auftritten weder rote Schuhe noch das rote Schultermäntelchen oder ein goldenes Bischofskreuz, sondern sein aus Argentinien mitgebrachtes schlichtes Metallkreuz. Wenn Franziskus auch als Papst seine alten Schuhe und ein einfaches Messgewand trägt, sendet er deutliche Signale aus, die bereits jetzt in eher traditionalistischen Kreisen auf Spott und Widerstand stossen; jedenfalls findet nun eine gewisse «Demaskierung» statt. In der Liturgie sind ein Umdenken und Vereinfachungen angesagt, was beim päpstlichen Zeremoniär Guido Marini bereits Auswirkungen hat. Er trägt nicht mehr ein weisses Rochett mit möglichst vielen Brüsseler Spitzen, sondern ein einfaches Obergewand.

Ein Papst, der sich segnen lässt

Die einfache, aber ergreifende erste päpstliche Ansprache, die mit einem gemeinsamen Gebet begann, endete mit einer weiteren Überraschung. Bevor der Papst seinen ersten päpstlichen Segen erteilte, bat er die Anwesenden um ihr Gebet und ihren Segen. Er verwies damit auf den Kreislauf zwischen dem Glaubenszeugnis aller Gläubigen und dem authentischen Glaubenszeugnis des Bischofs, denn beide sind aufeinander verwiesen, wie das Johannes Paul II. schon 2003 im nachsynodalen Schreiben «Pastores gregis» verdeutlicht hat. Nur einen Tag später verdeutlichte er dies auch gegenüber den Kardinälen, wie Eva-Maria Faber ausführt: «Die Kardinäle erinnerte er zu Beginn seiner Audienz-Ansprache daran, dass das Konklave nicht nur für das Kardinalkollegium, sondern auch für alle Gläubigen eine sehr bedeutungsvolle Zeit gewesen sei. Dieser Papst hat ein waches Bewusstsein, dass die Kirche nicht vornehmlich im Binnenraum ihrer hierarchischen Organe lebt, sondern zuerst Volk Gottes ist. Das franziskanische Ideal der ‹fratellanza›, eines geschwisterlichen Miteinanders, hat er bereits mehrfach zur Sprache gebracht und in der erwähnten Audienz auf eindrückliche Weise daran erinnert, dass in der kirchlichen Gemeinschaft Unterschiede geistgewirkt sind» (Eva-Maria Faber: Papst Franziskus – die ersten Tage seines Pontifikats, unter: http://www.thchur.ch/index.php?&na=12,0,0,0,d,131439,0,0, ). Der Papst vor den Kardinälen am 15. März 2013 dazu: «Der Paraklet schafft alle Unterschiede in der Kirche, und es scheint, er sei ein Apostel Babels. Andererseits aber ist er es, der die Einheit dieser Unterschiede schafft, nicht in der ‹Gleichheit›, sondern in der Harmonie. Ich erinnere mich, dass ein Kirchenvater es so beschrieben hat: ‹Ipse harmonia est›. Der Paraklet, der einem jeden von uns verschiedene Charismen gibt, eint uns in dieser Gemeinschaft der Kirche, die den Vater, den Sohn und ihn, den Heiligen Geist, anbetet.»

Bischof von Rom

Auffällig ist die Tatsache, dass Franziskus nicht von oben herab als Papst spricht, sondern als Bischof von Rom. Eingedenk seines Verhaltens gegenüber den Kardinälen verdeutlicht dies, dass er das Papstamt bischöflich und kollegial versteht, wo der Bischof von Rom durch den Vorsitz in der Liebe hervorstechen soll. Dass sich Franziskus gemeinsam mit Kardinälen, Bischöfen und dem ganzen Volk Gottes auf den Weg machen will, gibt zur Hoffnung Anlass, dass Geschwisterlichkeit und Kollegialität zukünftig wieder wichtiger sein werden und das an Gesicht und Gewicht gewinnt, was eigentlich schon das Zweite Vatikanische Konzil intendiert hat: eine Kirche, die nicht Klerikerkirche ist, sondern Gemeinschaft von allen als Träger des allgemeinen Priestertums, die Träger des speziellen Priestertums mit eingeschlossen: Alle sind zu einem «Weg der Brüderlichkeit, der Liebe, des gegenseitigen Vertrauens» aufgerufen. A ber der Kreis der Angesprochenen ist noch grösser: Nach dem Segen, den der neue Bischof von Rom vom Volk an seinem Wahltag empfing, spendete er seinerseits den Segen nicht nur an die Katholikinnen und Katholiken, sondern «allen Männern und Frauen guten Willens»: Alle sollen also angesprochen sein, über Grenzen hinweg.

Der Papstname als Programm

Es braucht nicht viel Phantasie um festzustellen, dass der neue Papst sich nicht zufälligerweise Franziskus nennt. Bereits als «Kardinal der Armen» – welch schöner Ehrentitel, den man sich im Übrigen nicht selber zulegen kann, sondern einem geschenkt wird – war schon früher eine einfache Lebensführung bei Jorge Maria Bergoglio Programm. Vor den Diplomaten erläuterte Papst Franziskus am 22. März 2013 seine Namenswahl, die mit einem Programm über die Kirche hinaus verbunden ist. Er lädt alle Länder dazu ein, sich an seinem franziskanischen Programm zu beteiligen: «Die materielle wie die geistliche Armut bekämpfen, Frieden schaffen und Brücken bauen – das sind gleichsam die Bezugspunkte eines Weges, den mitzugehen ich jedes der Länder, die Sie vertreten, einlade. Das ist jedoch ein schwieriger Weg, wenn wir nicht immer mehr lernen, diese unsere Erde zu lieben. Auch in diesem Fall hilft es mir, an den Namen Franziskus zu denken, der eine tiefgreifende Achtung gegenüber der gesamten Schöpfung und die Bewahrung dieser unserer Umwelt lehrt, die wir leider allzu oft nicht zum Guten gebrauchen, sondern sie gierig ausbeuten zum gegenseitigen Schaden.»

Das Kreuz tragen

Für den engeren Kreis, für die Christinnen und Christen, betonte er, dass Kirche-Sein noch mehr beinhaltet. In seiner Predigt vom 14. März 2013 vor den Kardinälen führte er aus, dass die Kirche mehr sein soll als eine wohltätige NGO : Die Kirche muss Jesus Christus bekennen, wozu auch die Annahme des Kreuzes Christi gehört: «Wenn wir ohne das Kreuz gehen, wenn wir ohne das Kreuz aufbauen und Christus ohne Kreuz bekennen, sind wir nicht Jünger des Herrn: Wir sind weltlich, wir sind Bischöfe, Priester, Kardinäle, Päpste, aber nicht Jünger des Herrn.» Hier gibt der neue Papst uns allen eine Richtschnur vor, die auch in unseren Breitengraden eine echte Herausforderung ist.

Für Freude und gegen Mutlosigkeit

In den Predigtworten zum Palmsonntag ermutigt der Papst zu Freude und Hoffnung, und er warnt davor, sich entmutigen zu lassen, auch nicht bei Problemen und Hindernissen, von denen es viele gibt. Vielleicht ist dies die für uns wichtigste Botschaft: Wenn wir aufstehen und das Kreuz auf uns nehmen, wie der Papst uns das vormacht, dürfen wir ein Stück Auferstehung erleben – bereits jetzt! In diesem Sinne wünsche ich uns allen, Papst Franziskus selbstverständlich eingeschlossen, ein frohes Osterfest: Der Friede und die Freude des Auferstandenen seien mit uns allen!

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.