Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft

Das Münster in Basel war letztes Jahr Ort einer geschichtsträchtigen Unterzeichnung, die Anlass zu einer echten Hoffnung auf eine künftige Einheit innerhalb der christlichen Kirchen gibt.

Am 16. September des vergangenen Jahres wurde während eines Gottesdienstes im Basler Münster im Rahmen der Vollversammlung der «Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa» (GEKE) von ihrem geschäftsführenden Präsidenten, Pfarrer Gottfried Locher, und vom Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, eine Erklärung über die Absicht unterzeichnet, einen gemeinsamen ökumenischen Dialog zwischen den evangelischen Kirchen, die Mitglieder der GEKE sind, und der Römisch-katholischen Kirche über Fragen der Kirche und der Kirchengemeinschaft aufzunehmen.

Intensive Vorbereitungen

Diese Entscheidung darf als bemerkenswerter ökumenischer Schritt zunächst für die GEKE gewürdigt werden, deren Mitgliedskirchen sich im Jahre 1973 in Leuenberg bei Basel mit der Leuenberger Konkordie zur damals sogenannten Leuenberger Kirchengemeinschaft zusammenschlossen, mit der die Kirchentrennung zwischen reformierten und lutherischen Kirchen beendet wurde. Die GEKE lebt seit ihrer Gründung in vielfältigen ökumenischen Beziehungen und will jetzt einen offiziellen Dialog mit der römisch-katholischen Kirche beginnen.

Auch die Römisch-katholische Kirche betritt mit dieser Entscheidung Neuland. Bisher führte sie seit vielen Jahrzehnten ökumenische Dialoge mit den evangelischen Konfessionsfamilien auf der universalen Ebene. Dies bedeutet auch, dass diese Dialoge mit den Weltbünden jener Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die aus den Reformationen hervorgegangen sind, in bilateraler Weise geführt werden. Mit der in Basel getroffenen Entscheidung wird nun der ökumenische Dialog multilateral und auf der regionalen Ebene wahrgenommen, und zwar aus verschiedenen Gründen: Da auf der einen Seite der GEKE lutherische, reformierte, unierte und methodistische Kirchen angehören, die selbst miteinander im Dialog sind, stellt ein multilateraler Dialog mit diesen Kirchen auch für die Römisch-katholische Kirche eine grosse Herausforderung und eine ebenso grosse Bereicherung dar. Was auf der anderen Seite die regionale Ebene betrifft, legte sich der europäische Kontinent nahe, weil hier vor einem halben Jahrtausend die Spaltung in der Kirche im Westen begann, sodass die Christenheit in Europa eine besondere ökumenische Verantwortung für die Versöhnung und Wiedergewinnung der Einheit der Christen trägt.

Der Entscheidung in Basel ging eine intensive Vorbereitung voraus. Bereits im Jahre 2013 wurde eine Konsultationsreihe mit der Aufgabe der Prüfung ins Leben gerufen, ob und wie sich das in der Leuenberger Konkordie enthaltene Konzept von Kirchengemeinschaft – das sich nicht nur als innerprotestantisches Modell der Versöhnung, sondern auch als ökumenisches Modell für die Wiederfindung der Einheit unter den Christen versteht – zur katholischen Sicht der sichtbaren Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in den kirchlichen Ämtern verhält. Zur Beantwortung dieser Frage unternahm die Arbeitsgruppe einen Vergleich zwischen der ekklesiologischen Studie «Die Kirche Jesu Christi», die die GEKE im Jahre 1994 veröffentlicht hatte, und der Dogmatischen Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche «Lumen gentium» und wandte dazu die Methode des «receptive ecumenism» an. Sie bedeutet, dass in erster Linie nicht nach den Differenzen zwischen den Kirchen gefragt wird, sondern danach, was die eine Kirchengemeinschaft von der jeweils anderen konfessionellen Tradition lernen und damit die eigene Identität wie das ökumenische Gespräch bereichern kann.

Die Konsultationsreihe brachte das erfreuliche Ergebnis zu Tage, dass bei den Fragen von Kirche und Kirchengemeinschaft, bei denen bisher die meisten ökumenischen Stolpersteine wahrgenommen wurden, mehr Gemeinsamkeiten als bisher angenommen festgestellt werden können. So konnte beispielsweise auf evangelischer Seite in positiver Weise auf das katholische Verständnis der Kirche als Sakrament und auf katholischer Seite auf die evangelische Sicht der Kirche als Geschöpf des Wortes Gottes («creatura verbi») eingegangen werden. Die bisherige Annahme, dass die ekklesiologischen Grundlagendokumente der GEKE und der römisch-katholischen Kirche nicht kompatible, sondern sich gegenseitig ausschliessende Vorstellungen enthalten, musste deshalb relativiert werden.

Der Bericht der Konsultationsreihe, die auf evangelischer Seite – nach dem Tod von Bischof Friedrich Weber im Jahre 2015 – von Kirchenpräsident Christian Schad und auf katholischer Seite von Bischof Karl-Heinz Wiesemann geleitet wurde, ist nun für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.1 Es handelt sich dabei noch nicht um einen ökumenischen Konsenstext, sondern um einen vorbereitenden Bericht, der freilich in die begründete Empfehlung mündet, dass es sich lohnt, über die wichtigen Fragen von Kirche und Kirchengemeinschaft einen vertieften Dialog zwischen der GEKE und der römisch-katholischen Kirche zu eröffnen.

Ein verheissungsvoller Ausblick

Diese Aufgabe muss nun von einer ökumenischen Expertengruppe gelöst werden, indem die angeschnittenen Fragen weiter vertieft werden. Dies bedingt nicht nur intensive Diskussionen zwischen den Vertretern der beiden Kirchengemeinschaften, sondern auch innerhalb von diesen selbst, zumal in der GEKE verschiedene konfessionelle Traditionen vertreten sind. Wenn ich den nun veröffentlichten Konsultationsbericht, der weitgehende Übereinstimmungen im Verständnis der Sakramentalität der Kirche und in der theologischen Überzeugung vom konstitutiven Charakter des kirchlichen Amtes, auch der Episkope auf regionaler Ebene, formuliert, beispielsweise mit verschiedenen Stimmen zu denselben Themen, die aus reformierten Kirchen verschiedener Kantone in der Schweiz in den vergangenen Jahren zu hören gewesen sind, vergleiche, wird man davon ausgehen müssen, dass der Bericht auch viel innerprotestantischen Diskussionsstoff enthält. Dass auch nach Abschluss der Leuenberger Konkordie die innerprotestantischen Diskussionen weitergehen müssen, dessen war sich die GEKE freilich bereits bei ihrer Gründung bewusst.

Die genannten Fragen sind deshalb wichtig, weil das Ziel des ökumenischen Dialogs in der Wiederherstellung von Kirchengemeinschaft bestehen muss. Um dieses Ziel erreichen zu können, braucht es eine gemeinsame Sicht dieses Ziels. Die bisherigen diesbezüglichen Differenzen hängen damit zusammen, dass jede Kirche ihr spezifisches Konzept von der Einheit ihrer Kirche hat und bestrebt ist, diese konfessionelle Sicht auch auf das Ziel der ökumenischen Einheit zu übertragen, sodass es so viele ökumenische Zielvorstellungen wie konfessionelle Ekklesiologien gibt. Um in dieser Frage weiter zu kommen, braucht es deshalb eine weitgehende Verständigung über das Wesen der Kirche.

Dies zeigt auch ein Blick auf die ökumenischen Diskussionen in den vergangenen Jahrzehnten. Zu denken ist vor allem an die Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung («Faith and Order») des Ökumenischen Weltrates der Kirchen mit dem Titel «Die Kirche. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision». Sie strebt eine globale und multilaterale ökumenische Sicht vom Wesen, der Bestimmung und der Sendung der Kirche an und darf als wertvolle ökumenische In-via-Erklärung über ekklesiologische Fragen gewürdigt werden. Was hier auf der universalen Ebene bearbeitet worden ist, soll im Gespräch mit der GEKE auf der regionalen Ebene verwirklicht werden.

Nach den soliden Vorarbeiten, die mit der Konsultationsreihe geleistet worden sind, darf man zuversichtlich sein, dass die weitere Dialogarbeit zu positiven Ergebnissen führen wird, die es erlauben, uns im Glauben näher zu kommen und mehr Gemeinschaft und Einheit untereinander zu finden. Die Zeit ist jedenfalls reif, zwischen Protestanten und Katholiken die Gemeinschaft im Glauben zu fördern und zu vertiefen und immer mehr zusammenzuwachsen. Da die vor 500 Jahren zerbrochene Einheit nur im Glauben wiedergefunden werden kann, war es ein sinnvolles Zeichen, dass die Unterzeichnung der Absichtserklärung für den nun zu vollziehenden Dialog vor einem Jahr in einem Gottesdienst im historisch wie kirchlich bedeutsamen Basler Münster stattfand.

Kurt Card. Koch

 

1 Schad, Christian/Wiesemann, Karl-Heinz (Hg.), Bericht über Kirche und Kirchengemeinschaft. Ergebnis einer Konsultationsreihe im Auftrag der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, Paderborn/Leipzig 2019.

 


Kurt Kardinal Koch

Kurt Kardinal Koch (Jg. 1950) lehrte an der Theologischen Fakultät in Luzern Dogmatik und Liturgiewissenschaft, bevor er am 21. August 1995 zum Bischof von Basel gewählt wurde. Seit 2010 ist er Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Im gleichen Jahr wurde er zum Kardinal kreiert.