Als die Stimme hinter der «Holztrülli» ein Gesicht bekam

Eine Klostergemeinschaft im Dorf schenkt Erlebnisse, Geschichten, Gefühle, Gerüchte. Mein «Heimatkloster» war St. Maria der Engel in Wattwil, seit 1622 ein bedeutender spiritueller Ort im Toggenburg.

Meine erste Erinnerung ist ein «leises Schaudern». An der Hand meiner Grossmutter stand ich im Pfortenhaus. Unsere Hustensaft-Bestellung wurde von einer Stimme ohne Gesicht bestätigt, das Geld in eine «Holztrülli» gelegt und die Trommel angeschoben. Das Geld verschwand, Hustensaft und ein Nonnenchräpfli, dessen feinen Geschmack ich bis heute auf der Zunge habe, kamen mit der nächsten Drehung zurück. 
Sehr selten sah man die Schwestern im Dorf, viele Köpfe drehten sich nach ihnen um. Die Stimmen hinter der «Trülli» erhielten Gesichter. Wir wussten, dass die Kapuzinerinnen Tag und Nacht für Mensch und Tier im Tal beteten und dass die Schwestern viele Ratsuchende empfangen. Es war ein Wattwiler Grundgefühl, dass da oben auf dem Klosterhügel etwas Positives verlässlich da war.

Viele Jahre später hatte ich als Journalistin wieder mit dem Kloster zu tun. Die Schwestern übernahmen eine wichtige Aufgabe als «Notrufzentrale» der heimischen Feuerwehr. Das Foto von Kapuzinerinnen, die per Trottinett durch die Gänge fegten, um noch schneller an der Alarmzentrale zu sein, wurde weitherum bekannt. Mein Bild der Frauen im Habit hatte sich grundlegend verändert. Sie waren der Welt zugewandter und viel sichtbarer präsent.
Es vergingen weitere zwei Jahrzehnte, bis ich intensiver mit dem Kloster St. Maria der Engel zu tun hatte. Als Kommunikationsbeauftragte des Bistums St. Gallen war es 2010 meine Aufgabe, dessen Schliessung medial zu begleiten. Die Gemeinschaft, die im Laufe der Jahrhunderte viele Höhen und Tiefen erlebt hatte, zog weg, ihre Kräfte reichten nicht mehr aus. Sr. M. Johanna Suter, Vikarin, beeindruckte mich durch ihr Gottvertrauen: «Ich verspreche Dir, alles anzunehmen was Du von mir verlangst.» Beim Packen gab es schwere Momente und es flossen Tränen. Aber da war genauso Freude, wieder in einer grösseren klösterlichen Gemeinschaft zu leben.

Erstaunlicherweise blieb damals auch bei mir ein Gefühl von Verlust, viele Menschen im Tal fühlten ähnlich. Es lag eine Trauer in der Luft, dass «das Gute da oben auf dem Hügel» zu Ende war. Der Trost blieb, dass mit der «Fazenda da Esperança» wieder ein geistlicher wie diakonischer Ort entstand und die Klosteranlage, heute gesamtverantwortlich von einer Stiftung getragen, gut betreut und unterhalten wird.

Mittlerweile habe ich mich im Rahmen des Theologiekurses für Laien und meiner beruflichen Tätigkeit vertieft mit dem Klosterleben auseinandergesetzt. Klöster üben seit Jahrhunderten eine grosse Faszination aus. Auch ich bin schon für einige Tage eingetaucht in die Stille eines Klosters und habe das als heilsame Auszeit empfunden. Kennengelernt habe ich zufriedene, bescheidene wie mutige Ordensleute, die ihre Meinungen, beispielsweise in kirchlichen Fragen, engagiert vertreten. Persönliche Gespräche mit Klosterfrauen haben mir auch gezeigt, dass das Klosterleben nicht idealisiert werden darf. Und trotzdem, auch wenn es kitschig oder sentimental tönt, das «Chlöschterli» wird mir zeitlebens eine wohltuende Erinnerung bleiben. Manchmal stelle ich mir vor, dass seine über Jahrhunderte «durchbeteten» Gebäude weiterhin wachen über das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin.

Sabine Rüthemann
 


Sabine Rüthemann

Sabine Rüthemann (Jg. 1962) ist seit 2003 Kommunikationsbeauftragte des Bistums St. Gallen.