«Alles hat seinen Preis»

Doris Fiala ist Nationalrätin der FDP. Die Liberalen und Unternehmerin sowie vielfältig gesellschaftlich und kulturell engagiert. Auf Neues wie zum Beispiel die Digitalisierung geht sie offen zu.

Doris Fiala (Jg. 1957) ist seit 2007 Nationalrätin der FDP. Die Liberalen. Von 2008 bis 2020 war sie zudem Mitglied der Schweizer Delegation im Europarat. Sie ist Inhaberin der Firma FIALA Risiko- und Chancenmanagement. (Bild: rs)

 

SKZ: In Ihrer politischen Tätigkeit ist ein Schwerpunkt die Digitalisierung. Welche Chancen und Risiken sehen Sie hier?
Doris Fiala: Persönlich glaube ich, dass durch die Digitalisierung neue Jobs entstehen und dass der digitale Wandel eine grosse Chance darstellt. Wenn man aber nicht zugibt, dass die Digitalisierung auch das Risiko birgt, dass gewisse manuelle Arbeiten verdrängt werden, ist man unehrlich. Die grösste Herausforderung besteht bei Menschen über 50, die sich oftmals weniger zutrauen, permanent Weiterbildungen an die Hand zu nehmen. Hier sehe ich die Wirtschaft besonders in der Pflicht, ihre Mitarbeitenden zu motivieren und Weiterbildung auch finanziell zu unterstützen. Bei den Jungen sehe ich keine Gefahr; diese gehen anders damit um, das erlebe ich bei meinen erwachsenen Kindern. Ich glaube allerdings, dass die Prioritätensetzung heute schwieriger ist als früher, da man in der Vergangenheit klarere Arbeitsaufträge und weniger Ansprechpersonen hatte. Heute haben wir gleichzeitig viele Ansprech- und Anspruchsgruppen, das möchte ich nicht kleinreden. Bei allen Schwierigkeiten der Pandemie: Den Wert des digitalen Schubs, der sich daraus ergeben hat, kann man noch nicht umfassend abschätzen. Wir wurden digital an einen «Ort» katapultiert, den wir ohne Corona in diesem Tempo gar nicht hätten erreichen können. Für viele Menschen ist die Angst vor Digitalisierung einer neuen Normalität gewichen.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Menschen durch die Digitalisierung immer schneller sein müssen?
Wenn man sich auf einen Beruf oder eine Tätigkeit konzentrieren kann, ist die Gefahr geringer. Dann verändert sich zwar das Tempo, es gibt jedoch in anderen Bereichen Erleichterungen. Hingegen selbstständig Erwerbende und Menschen, die gleichzeitig mehrere Tätigkeiten ausüben, spüren natürlich die Fülle der Informationen oder den Druck der ständigen Erreichbarkeit. Ich sehe das bei mir selbst. Meine Mitarbeitenden haben das «Häkchen», also ob eine Nachricht gelesen wurde, deaktiviert. Ich weiss also nie, ob meine Nachricht bereits gelesen worden ist oder nicht. Zu Beginn habe ich mich darüber ziemlich geärgert, heute muss ich schmunzeln. Es ist natürlich ein Selbstschutz der jungen Generation. Sie verweigern sich genau dieser Beschleunigungsfalle.

Sie waren von 2008 bis 2020 im Europarat. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
In meiner Funktion als Präsidentin der Kommission für Migration und Flüchtlingswesen habe ich wohl das Schlimmste gesehen, was man aus menschlicher Sicht an Armut und Elend sehen kann. Wenn einen das kalt lassen würde, müsste man definitiv aus der Politik aussteigen, sonst würde man seiner politischen Aufgabe nicht gerecht. Nichts hat mich in meiner politischen Tätigkeit mehr geprägt als der Europarat. Neben diesem humanitären Aspekt war es die Erkenntnis, dass Rechtsstaatlichkeit die wichtigste politische Basis darstellt: Rechtsstaatlichkeit ist die Grundlage für Demokratie und Demokratie die Grundlage für Menschenrechte.

Inwiefern profitieren Sie als Politikerin von Ihren langjährigen beruflichen und politischen Auslandserfahrungen?
Ich komme ursprünglich aus der Tourismusbranche. Noch heute begleite ich hier und da für einen grossen Reiseveranstalter Reisen. Die letzte führte mich nach Mauritius. Der Erfahrungshorizont des Auslands hat mich geprägt und mich in Bezug auf die Schweiz dankbar gemacht. Vielleicht lernen wir auch Demut, wenn wir im Ausland sind. Natürlich ist das Fremde, das Exotische immer faszinierend. Wichtig ist aber, dass man nicht einfach als Konsumentin oder Konsument ins Ausland geht. Wenn es gelingt, von der Kultur, der Geschichte und der Politik des Landes mehr zu verstehen, dann bringt man etwas in die Schweiz zurück, was für die Schweiz und die eigene Umgebung positiv ist. Gerade heute, wo wir in einer international verflochtenen Welt leben, ist es ein grosser Vorteil, wenn man diese Welt nicht nur aus Büchern kennt, sondern sie persönlich erfahren hat. Wenn man keine anderen Welten erlebt hat, findet man das schön, was einem heimisch erscheint.

Sie sind Inhaberin der Unternehmung FIALA Risiko-und Chancenmanagement. Gibt es spezielle Herausforderungen für Frauen in der Wirtschaft?
Ich bin keine Feministin, aber spätestens der Film «Die göttliche Ordnung» hat mich zum Nachdenken gebracht. Wenn man sich überlegt, dass vor nicht allzu langer Zeit Frauen ohne das Einverständnis des Ehemanns keine Stelle annehmen durften. Es brauchte Feministinnen, die diesen Kampf für uns führten, und ich bin ihnen dankbar. Ich – und jetzt rede ich nur für meine Person – könnte aber kein Beispiel anführen, wo ich eine Stelle oder ein Amt nicht erhalten hätte, weil ich eine Frau bin. Ich habe längst nicht immer alles erreicht, was ich wollte, doch da gab es vielleicht schlicht jemanden, der besser war oder die Konstellation verlangte einen anderen Erfahrungshorizont usw. Ich habe keine negativen Erfahrungen gemacht, weil ich eine Frau bin. Heute ist über weite Strecken der Druck in der Genderfrage so gestiegen, dass es ungerechterweise fast ein Vorteil ist, eine Frau zu sein. Ich glaube, dass das grössere Problem darin liegt, dass der Dreiklang «Ehefrau/Ehemann, Kinder und Beruf» schlicht und ergreifend nicht unter einen Hut zu bringen ist. Wir sind keine Übermenschen. Solange sie kleine Kinder haben, in die Politik einsteigen möchten und gleichzeitig noch berufstätig sein möchten, ist das für die allermeisten – egal ob Mann oder Frau – eine Überforderung. Dafür hat der Tag einfach zu wenig Stunden. Hier müsste man den Frauen und auch den Männern den Druck nehmen und ihnen sagen: «Es ist nicht alles möglich.» Das hat nichts mit der Genderfrage zu tun, sondern mit den Realitäten des Lebens. Alles hat seinen Preis. Dass ich drei Kinder wollte, hatte seinen Preis. Aber keine Kinder zu haben, hat auch seinen Preis.

Und natürlich die berühmte Frage: Wie haben Sie es mit der Religion?
Der traditionelle Hintergrund meiner Familie ist der Katholizismus. Mein Mann war Halbjude, was mich sehr geprägt hat. Seine Mutter war katholisch, deshalb war er auf dem Papier auch katholisch. Ich bin keine intensive Kirchgängerin, doch dieser kulturelle Hintergrund prägt uns alle, egal wie wir mit der Frage nach dem Glauben umgehen. Ich würde mich als arrogant betrachten, wenn ich in den Spiegel schauen und sagen würde: «Du bist das Einzige, woran ich glaube, und alles, was du nicht verstehst, gibt es nicht.» Deshalb würde ich sagen, dass ich Agnostikerin bin mit einem starken Bezug zur katholischen Kirche.

Welches sind ihrer Meinung nach die Stärken und Schwächen der Katholischen Kirche?
Was zum Teil innerhalb von Kirchen und in Rom geschieht, finde ich inakzeptabel. Missbrauch an Kindern und Jugendlichen muss zwingend Aufklärung finden. Hier kommt die katholische Kirche ihrer Verantwortung noch immer zu wenig nach. Aber auch im Umgang mit Homosexualität gibt es Aufklärungsbedarf. Zum anderen tut sich die Katholische Kirche immer schwerer, den intellektuellen Ansatz der Religion zeitgemäss den Menschen zu erklären. Das ist jedoch zugegebenermassen nicht einfach. Andererseits würde ich nicht unterschätzen, wie viel Halt die Kirche Menschen in Not geben kann. Das gilt es zu respektieren. Überall dort, wo die Kirche das Fürsorgliche und die Hilfeleistung an Menschen in Not lebt, ist der Wert der Kirche ein guter Wert. Religion kann für viele Menschen sinnstiftend sein. Auch die Entwicklungshilfe kann durchaus Positives bewirken. Hier möchte ich anmerken, dass es viele Unternehmungen gibt, die in anderen Ländern Gutes leisten, indem sie z. B. Kindern den Schulbesuch ermöglichen. Gewinnmaximierung und humanitäres Handeln schliessen sich nicht aus!

Wir erholen Sie sich von Ihren vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Aufgaben?
Das Engadin und seine Natur sind unermesslich kraftspendend. Und ich liebe den Kontakt mit den Menschen. Dann erhole ich mich bei meinem Lebenspartner, der manchmal intellektuell herausfordernd ist (lacht). Ja, eine gute Partnerschaft, Kinder, die man liebt, und die Pflege der Freundschaft sind die grössten Kraftquellen. Neben der nicht immer leisen Familie und Freunden geniesse ich die Stille, die ich in der Natur erfahren kann.

Interview: Rosmarie Schärer

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