Auf dem Weg zu einer interkulturellen Pastoral

(Bild: Geralt on pixabay.com)

 

Vor fünf Jahren gab sich die katholische Kirche der Schweiz in Zusammenarbeit mit der Dienststelle «migratio» das Arbeitsinstrument zur Ausrichtung ihrer Seelsorge für Migrant/innen mit obenstehendem Titel an die Hand. Dieser verdeutlicht seine doppelte Ausrichtung: zum einen «Auf dem Weg zu» und zum anderen «einer interkulturellen Pastoral».

Die Formulierung «Auf dem Weg» enthält mehrere Bedeutungen. Über Migrant/innen zu sprechen bedeutet, sich wirklich auf den Weg zu machen. Es bedeutet, bewusst das Schicksal derer zu teilen, die ihr Land verlassen müssen, wie einst Abraham, und die auf dem Weg in eine bessere Heimat sind (Hebr 11–12). Heute verlassen viele Menschen ihr Land aufgrund wirtschaftlicher Not, politischer Instabilität, sozialer oder klimatischer Gefahren usw. Mit diesen Menschen «auf dem Weg» zu sein, sollte uns dazu bringen, ihre Hoffnungen und Freuden, ihre Traurigkeit und Ängste zu teilen. Der Titel unterstreicht den Willen, sich den Migrant/innen anzunähern, sie mit ihren Erwartungen, Fragen und Hoffnungen zu verstehen.

Und dann steht das «Auf dem Weg» im Zusammenhang mit der Intuition des synodalen Vorgehens. Denn eine Synode zu halten bedeutet wörtlich, denselben Weg zu gehen. Seit fünf Jahren wird sich die Kirche wieder bewusst, wie wichtig es ist, gemeinsam voranzuschreiten, ohne dass jemand am Wegesrand zurückbleibt, und sich gegenseitig mit den Charismen zu bereichern, die jede und jeder zum Wohl des gesamten Leibes einbringen kann.

Eine interkulturelle Pastoral möchte den Reichtum der Kulturen berücksichtigen, indem sie das Zusammenleben über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg fördert. Dieser Ansatz setzt eine Begegnung auf Augenhöhe voraus. Es ist Aufgabe der Kirche, in ihrer besonderen Mission die unterschiedlichsten Menschen auf der Suche nach einer spirituellen Heimat zu begleiten. Die Diakonie mit ihren vielfältigen Diensten an den Armen, die Verkündigung des Evangeliums ohne Proselytismus, das Gemeinschaftsleben oder die Liturgie als Ausdruck des Glaubens sind typische Orte, die uns die Möglichkeit geben, die Kirche als Gemeinschaft in Vielfalt zu leben. Die Schweiz hat eine lange Tradition der Multikulturalität.

Sie ist der Ort, an dem germanische und lateinische Kulturen aufeinandertreffen, die sich in vier Landessprachen und einer politischen Erfahrung des Föderalismus ausdrücken; all dies lässt vermuten, dass es möglich ist, eine Kirche in der Schweiz ins Auge zu fassen, die in der Lage ist, vielfältige Unterschiede zu integrieren. Danke an die Migrationsgemeinden, die uns, die wir seit jeher Schweizer/innen sind, immer wieder dazu bringen, unser Verständnis von Kirche und unser Verhältnis zu ihrem göttlichen Geheimnis zu hinterfragen.

Die Vielfalt, die die Migration in die Schweizer Kirche bringt, ist nicht nur eine Bereicherung, sondern ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität. Was wäre unsere Kirche ohne die vielfältigen sozialen, menschlichen, kulturellen und religiösen Beiträge der Migrant/innen? Die Herausforderung besteht darin, «auf dem Weg» zu bleiben und in Vielfalt Gemeinschaft zu leben.

+ Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten* (Übersetzung: SKZ)

 

* Bischof Jean-Marie Lovey (Jg. 1950) ist seit 2014 Bischof von Sitten. Er nahm an der zweiten Bischofssynode über die «Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute» (2015) teil. Sein Amtsverzicht wurde von Papst Leo XIV. Ende September angenommen; er bleibt bis zur Weihe seines Nachfolgers Titularbischof. Er ist Mitglied der Chorherren vom Grossen St. Bernhard.

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Editorial

Schubladendenken sprengen

Letzthin war ich im Kanton Bern auf Schusters Rappen unterwegs. Ich startete bei der Kirche Sigriswil und bald sah ich an einer Weggabelung ein weisses, altes Gebäude mit Giebeldach und einer alten Holztüre. Mein erster Gedanke: Ist das eine Wegkapelle? Der zweite Gedanke: Déformation catholique. Der Glockenturm fehlt und ich bin in einem reformierten Gebiet. Es ist das «Gemeindegewölbe». Früher beherbergte es das Gemeindearchiv, heute ist es mit seinen 4,3 m2 das kleinste Museum der Welt. Was mir auf dem Wanderweg zu denken gab, war mein rasches Zuordnen und Einteilen. Der Mensch braucht für seine Orientierung Ordnungen und Kategorien. Sie helfen ihm, sich in der Fülle und Vielfalt des Lebens zurechtzufinden und sich zu positionieren. Die Frage ist: Ab welchem Punkt wird das existenzielle Ordnen und Einteilen zu einem Schubladendenken und dieses schadhaft? Wenn sich Letzteres aufbläht, ist dies «eine brandgefährliche Sache. Alsbald werden kollektivistische Urteile über Angehörige von ganzen Völkern, Nationen, Religionen usw. gefällt», schreibt Elisabeth Lukas. Dann gibt es die Ausländer, die Italiener, die Deutschen, die Schweizer. Und sie werden mit gewissen (negativen) Charaktereigenschaften belegt, die bald zu Vorurteilen auswachsen können. Interkulturelle Pastoral bietet die Möglichkeit für Begegnungen, denen die Kraft innewohnt, Schubladen zu sprengen.

Maria Hässig