Wider die Exklusion

Durchsetzung der Menschenrechte, Überwindung sozialer Exklusion und nachhaltiger Umgang mit der Umwelt sind Wesenszüge einer humanökologischen Wirtschaft im Anschluss an «Laudato si’».

Was umfasst eine humanökologische Wirtschaft? Papst Franziskus leistet mit seiner Enzyklika «Laudato si’» (LS) einen substanziellen Beitrag zur Klärung dieser Frage, indem er Fehler und Missstände des gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen Entscheidens und Handelns anprangert. Seine Kritik erlaubt es, Wesenszüge einer humanökologischen Wirtschaft abzuleiten, welche genau diese Probleme überwindet. Dabei stellt sich Franziskus in seinen bisherigen wirtschaftsethischen Impulsen nicht nur in die Traditionslinie der katholischen Sozialethik, sondern reiht sich auch in ein Verständnis der Wirtschaftsethik als «Störenfried»1 ein. Ersteres gelingt ihm, da sich wirtschaftsethische Beiträge aus einer katholisch-sozialethischen Perspektive im Allgemeinen durch die grundsätzliche Bejahung eines sozialmarktwirtschaftlichen Systems auszeichnen und gleichzeitig kritisch inakzeptable ökonomische Praktiken und Realitäten von einem ethischen Standpunkt aus benennen. Letzteres wird deutlich, wenn sich Franziskus in besonderem Masse darum bemüht, sowohl die Stimme von denjenigen Menschen zu hören, die durch die gegenwärtige Wirtschaftspraxis in ihren Menschenrechten verletzt werden, als auch die ökologischen Vergehen wirtschaftlichen Handelns wahrzunehmen: «Diese Situationen rufen das Stöhnen der Schwester Erde hervor, die sich mit dem Stöhnen der Verlassenen der Welt anschliesst, mit einer Klage, die von uns einen Kurswechsel verlangt» (LS 53). Prägend wirkt hier die im Zweiten Vatikanischen Konzil in «Gaudium et spes» (Nr. 1) formulierte Option für die «Armen und Bedrängten aller Art».

Realisierung der Menschenrechte

In seiner wirtschaftsethischen Kritik der gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen Praxis bewegt sein «befreiungstheologischer Ansatz, der nicht nur ethische Postulate formuliert, sondern programmatisch auch Fragen von Macht, Korruption und systemischen Fehlentwicklungen anspricht und mit einem kämpferischen Impetus deren Überwindung fordert».2 Strukturen der Ungerechtigkeit und des Unrechts, die Armut bedingen, werden analysiert und benannt sowie ihre Auflösung verlangt. Systemische Aspekte, Partikularinteressen und Machtkonstellationen und -missbräuche, die einer gerechten Wirtschaft im Wege stehen, werden identifiziert. Dazu zählen beispielsweise die einseitige Gewinnorientierung unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen (vgl. LS 158) und die Umweltzerstörung, aber auch die «absolute Herrschaft der Finanzen» (LS 189), welche die Realwirtschaft erstickt (vgl. LS 109). Darüber hinaus verteidigt Franziskus mit seiner Forderung nach Achtung und Respekt aller Menschen, mit der Skizzierung des Bildes der Menschheitsfamilie (vgl. LS 52) sowie mit seinem Widerstand gegen die «Globalisierung der Gleichgültigkeit» (LS 52) menschenrechtliche Ansprüche aller Menschen.
Die Auflösung von Strukturen der Ungerechtigkeit und des Unrechts sowie die Achtung, der Schutz, die Durchsetzung und die Realisierung der Menschenrechte3 können als erster Wesenszug einer humanökologischen Wirtschaft festgehalten werden.

Überwindung von sozialer Exklusion

Seit 1990 hat die weltweite Armut zum Tod von ca. 450 Millionen Menschen an armutsbedingten Ursachen geführt.4 Die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auseinander: 82 Prozent des im Jahr 2017 kreierten Vermögens ging an das reichste Prozent der weltweiten Bevölkerung, während die ärmere Hälfte der Menschheit nichts davon bekam.5 Die Chancenungleichheit, die für die meisten Menschen eine Perspektivenlosigkeit bedeutet, und der ungleiche Verwirklichungsgrad der Menschenrechte lassen Letztere in ihrer Realisierung – selbstverständlich nicht in ihrer Geltung – als «Minderheitsphänomen» erscheinen.6 Denn der Respekt, der Schutz, die Durchsetzung und die Verwirklichung der Menschenrechte entsprechen gegenwärtig noch nicht der universellen Geltung der Menschenrechte, da leider die Mehrheit der Menschen noch nicht in den Genuss der Realisierung ihrer Menschenrechte kommt. Franziskus hebt hervor, dass «die Ausgeschlossenen […] der grösste Teil des Planeten, Milliarden von Menschen» (LS 49) sind.
Menschen werden von Elementen und Bereichen der menschlichen Existenz ausgeschlossen, die Menschen zum Überleben und zu einem Leben als Menschen – d. h. zu einem menschenwürdigen Leben – brauchen. Franziskus nennt «soziale Ausschliessung» als eine der Komponenten der globalen Veränderung, die beweisen, dass «das Wachstum der letzten beiden Jahrzehnte nicht in allen seinen Aspekten einen wahren ganzheitlichen Fortschritt und eine Besserung der Lebensqualität bedeutet hat» (LS 46). Die «Willkür des Stärksten» (LS 82) hat «für die Mehrheit der Menschen zu unermesslich viel Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gewalt geführt, denn die Ressourcen gehen dann in den Besitz dessen über, der zuerst ankommt oder mächtiger ist: Der Sieger nimmt alles mit» (LS 82). Franziskus richtet seine Kritik gegen die Ausgrenzung von Menschen – insbesondere auch gegen den Ausschluss als Marktteilnehmende. «Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass wir eine einzige Menschheitsfamilie sind. Es gibt keine politischen oder sozialen Grenzen und Barrieren, die uns erlauben, uns zu isolieren, und aus eben diesem Grund auch keinen Raum für die Globalisierung der Gleichgültigkeit» (LS 52). Die Überwindung von Ungleichheiten und sozialer Exklusion bildet einen zweiten Wesenszug von humanökologischer Wirtschaft.

Beendigung der Zerstörung der Umwelt

Umweltzerstörung und -belastung rauben Menschen in der Gegenwart und auch zukünftigen Generationen ihre Lebensgrundlage. Franziskus verbindet in seiner Enzyklika ökologische, ökonomische, politische und ethische Argumente (vgl. LS 10). Oftmals separat verlaufende Diskurse werden so zusammen gedacht. Gerade in ihrer Interaktion verstärken sie sich jeweils gegenseitig in ihrer argumentativen Strahlkraft. Dieser Zugang lässt sich mit dem Konzept der Nachhaltigkeit und ihrer sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimension verbinden. Im Zuge der Verknüpfung der verschiedenen Argumente wird darauf geachtet, jeweils den Standpunkt der Ärmsten einzubringen. «Bei all dem ist es ein grosses Anliegen des Papstes, ökologische und soziale Probleme, den Einsatz für die Umwelt und für die Armen, auf keinen Fall zu trennen. Tatsächlich werden die Armen, obwohl sie am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, am stärksten unter ihm leiden.»7 Ein dritter Wesenszug humanökologischer Wirtschaft ist in der Reduktion der Umweltbelastung und der Beendigung der Zerstörung der Umwelt auszumachen.

In der Gottebenbildlichkeit grundgelegt

Eine humanökologische Wirtschaft, deren grobe Skizze nun in ihren Wesenszügen im Anschluss an «Laudato si’» versucht worden ist und welche die Schöpfung ins Zentrum stellt, kann sich in ihrem ganzheitlichen Appell an die Menschen gegen Ungerechtigkeit und für die Menschenrechte, gegen Ungleichheiten und sozialen Ausschluss sowie gegen die Zerstörung der Umwelt auf die jüdisch-christliche Glaubenslehre der Gottebenbildlichkeit des Menschen (vgl. Gen 1,26–27) stützen.8 Mit ihr wird in der biblischen Tradition die Basis für die Menschenwürde aller Menschen gelegt. In der Gottebenbildlichkeit des Menschen sind der vertrauensbasierte Auftrag Gottes und die Verantwortungsübertragung von Gott an den Menschen enthalten, zur ganzen Schöpfung (zu Mitmenschen und Umwelt) Sorge zu tragen – auch im wirtschaftlichen Entscheiden und Handeln.


Peter G. Kirchschläger

 

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«Diese Wirtschaft tötet!»
Besonders dieser Satz von Papst Franziskus hat beachtliche Aufmerksamkeit gefunden. Aber: Welche Wirtschaft tötet? Und welche fördert Leben? Das Buch zeigt wirtschafts- und unternehmensethische Reflexionen im Anschluss an Papst Franziskus auf.

1 Furger, Franz, Wirtschaftsethik – neue Dimension oder Störenfried?, in: Kaufmann, Otto K. u. a. (Hg.), Zur Zukunft von Staat und Kirche in der Schweiz. Zürich 1984, S. 23–29.
2 Vogt, Markus, Ein neues Kapitel in der katholischen Soziallehre. Ganzheitliche Ökologie – eine Frage radikal veränderter Lebensstile und Wirt-   schaftsformen, in: Amos international 9/4 (2015), S. 3–10, hier 4.
3 Vgl. Kirchschläger, Peter G. (Hg.), Die Verantwortung von nichtstaatlichen Akteuren gegenüber den Menschenrechten, Zürich 2017.
4 Vgl. Pogge, Thomas, The Health Impact Fund. Enhancing Justice and Efficiency in Global Health. The 2011 Mahbub ul Haq Memorial Lecture of the Human Development and Capability Association, in: Journal of Human Development and Capabilities 13/4 (2012), S. 537–539.
5 Vgl. Oxfam, https://www.oxfam.org.
6 Vgl. dazu u. a. Amnesty International, Report 2016–2017.
7 Kruip, Gerhard, Ein dramatischer Appell, in: HerKorr 7 (2015), S. 341–344, hier 342.
8 Vgl. Kirchschläger, Peter G., Menschenrechte und Religionen. Nichtstaatliche Akteure und ihr Verhältnis zu den Menschenrechten, Paderborn 2016; ders., Mass-Losigkeit und andere
    ethische Prinzipien des Neuen Testaments, Leuven 2017.


Peter G. Kirchschläger

Prof. Dr. theol. lic. phil. Peter G. Kirchschläger ist seit 2017 Ordinarius für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.