Mission als Transformation

Der reformierte Theologe Beat Dietschy, ehemaliger Geschäftsführer von Brot für alle, äussert sich zur ökumenischen Missionserklärung "Gemeinsam für das Leben". Zahlen im Text beziehen sich auf die Paragraphen des Missionsdokuments. 1

Am 2. Welttreffen der sozialen Bewegungen im bolivianischen Santa Cruz sagte Papst Franziskus: "Erkennen wir, dass sich ein System der Logik des Gewinns um jeden Preis über den ganzen Globus ausgebreitet hat, das die soziale Ausgrenzung und die Zerstörung der Natur in Kauf nimmt?" Und er fügte noch hinzu: "Dieses System verstösst gegen den Plan Jesu, gegen die Frohe Botschaft, die er brachte (…). Wenn es so ist, dann beharre ich darauf – sagen wir es unerschrocken –: Wir wollen eine Veränderung, eine wirkliche Veränderung." Als Reformierter wünschte ich mir manchmal mehr solchen Klartext auf unserer Seite. Doch gibt es nun immerhin eine neue Missionserklärung des Ökumenischen Rates, die in ähnlich prägnanter Weise und zugleich mit theologischem Tiefgang auf die Herausforderungen der heutigen Zeit eine Antwort gibt.

Frucht kirchenübergreifender Verständigung

"Gemeinsam für das Leben" ist die Frucht eines kirchenübergreifenden Verständigungsprozesses, an dem auch Katholiken beteiligt waren. Es ist 2012 in Kreta verabschiedet und in Busan von der Vollversammlung des Ökumenischen Rates 2013 bestätigt worden. Was zunächst schon im Untertitel – "Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten " – auffällt, ist der Blick auf die Vielfalt der sich wandelnden Kontexte. Neu ist in erster Linie, dass darin nach dem Wirken des Geistes gesucht wird. Die Geistkraft ist im ganzen Dokument sehr wichtig. Sie stiftet Erkenntnis, ermöglicht die Unterscheidung der Geister und ist vor allem eine Kraft der Transformation: "Die Kirche erhält den Auftrag, das Leben zu feiern und in der Kraft des Heiligen Geistes Widerstand gegen alle Leben zerstörenden Kräfte zu leisten und sie zu verwandeln" (2).

Die Geistkraft ist gut für Überraschungen, deckt auf, was unsere dogmatischen, westlichen oder männlichen Scheuklappen uns nicht sehen liessen. Wenn wir ihre Gegenwart erkannt haben, werden wir "erfahren, dass Gottes Geist oft subversiv ist, uns über Grenzen hinauswachsen lässt und uns überrascht (25). Zum Beispiel mit neuen Akteuren von Mission, welche ihre (eigentlich nicht biblische) anthropozentrische und erst recht ihre eurozentrische Engführung in Frage stellen: "Gott sandte den Sohn, um nicht nur die Menschheit zu erlösen (…). Das Evangelium ist vielmehr eine gute Nachricht für jeden Teil der Schöpfung und jeden Aspekt unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Es ist daher entscheidend, Gottes Mission in einem kosmischen Sinne zu verstehen und zu bekräftigen, dass alles Leben, die ganze oikoumene, in Gottes Netzwerk des Lebens miteinander verbunden ist" (4). Das ist mehr als Sorge für die Schöpfung, es meint die Wirksamkeit des Geistes in der Schöpfung: "Der Heilige Geist wirkt in der Welt oft unerkannt und auf geheimnisvolle Weise, die weit über unsere Vorstellungskraft hinausgeht" (15). Kurzum, alles Geschaffene ist Subjekt, nicht einfach Objekt von Mission: "In vielerlei Hinsicht hat die Schöpfung selbst eine Mission im Blick auf die Menschheit " (22).

Es gibt aber auch noch andere zu wenig beachtete Träger von Gottes Mission, nämlich eben jene, die in einem schlechten (aber faktisch existierenden) Missionsverständnis als blosse Empfänger definiert waren: "Mission ist als Bewegung verstanden worden, die vom Zentrum zur Peripherie und von den Privilegierten zu den Marginalisierten in der Gesellschaft verläuft. Heute beanspruchen Menschen an den Rändern der Gesellschaft, selbst Subjekte der Mission zu sein" (6).

Veränderung, die im eigenen Haus beginnt

Dies alles führt zu einer transformativen und kämpferischen Spiritualität. Sie "ist Energie für ein Leben in Fülle und fordert Engagement im Widerstand gegen alle Kräfte, Mächte und Systeme, die Leben verweigern, zerstören und einschränken" (29). Die Transformation von Machtverhältnissen, die daraus entspringt, bedeutet mehr als ein Austauschen der Machthabenden. Sie bringt ein anderes Funktionieren, eine Verwandlung von Macht – und kann in den Kirchen eingeübt werden, denn Mission ist eine Veränderung, die im eigenen Haus beginnt, nicht mit der Bekehrung anderer. Dies hat erhebliche Konsequenzen, zunächst für die Kirchen selber. Denn Ziel dieser Mission ist es nicht einfach, "Menschen vom Rand in die Zentren der Macht zu bringen, sondern Machtstrukturen zu verändern" (40). Mission, so sieht es das neue Missionsdokument, verändert Kirche. Es ist "nicht die Kirche, die eine Mission hat, sondern vielmehr die Mission, die eine Kirche hat". Entsprechend dem Konzept der "Missio Dei", aber entgegen einer immer noch weit verbreiteten Auffassung, ist Mission also "nicht ein Projekt zur Ausbreitung von Kirchen, sondern es geht darum, dass die Kirche Gottes Erlösung in dieser Welt verkörpert" (58). Ihr transformatorisches Wirken bleibt also nicht intra muros, sondern verändert auch die Welt: "Das Evangelium befreit und verwandelt. Seine Verkündigung muss auch die Verwandlung von Gesellschaften einbeziehen mit dem Ziel, gerechte und inklusive Gemeinschaften zu schaffen" (91).

Konkretisiert wird dies je nach Kontext in einer vielfältigen Weise. Um voneinander lernen zu können und das gemeinsame Unterwegssein zu feiern, hat die Versammlung von Busan die Kirchen und "alle Menschen guten Willens" zu einem siebenjährigen "Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens" eingeladen. Er kann buchstäblich auf Strassen und Wegen gegangen werden, wie letztes Jahr, als Tausende im Vorfeld des Klimagipfels in verschiedenen Ländern Richtung Paris marschiert sind. Grundsätzlich geht es jedoch darum, dass Menschen aufbrechen und sich auf Nachfolge einlassen: "Jesus nachzufolgen bedeutet, ihn überall da anzutreffen, wo Menschen Opfer von Ungerechtigkeit, Gewalt und Krieg sind. Gottes Gegenwart zusammen mit den schwächsten Menschen, den Verwundeten, den Marginalisierten zu spüren, ist eine verwandelnde Erfahrung", heisst es in der Einladung zum Pilgerweg.

Ökonomie des Lebens

Darüber hinaus gibt es in der ökumenischen Bewegung den Leitstern einer "Ökonomie des Lebens". Er macht deutlich, was die grundlegenden Transformationsprozesse unserer für Menschen und Natur so destruktiven Zivilisation anpeilen: ein neues Verständnis des Haushalts des Lebens insgesamt. Dass diese "grosse Transformation" unserer Lebensweise nicht handstreichartig zu schaffen ist, ist offenkundig. Es geht stattdessen um viele kleine, aber vernetzte Teilprozesse des Umkehrens, um einen Kulturund Geisteswandel. Doch woran merken wir, dass, was wir im Kleinen tun, transformativ ist im Sinne einer solchen umfassenden Veränderung? Ich sehe drei Kriterien, die uns helfen können, dies zu erkennen: "Transformative" Veränderungen kurieren nicht bloss Symptome, sondern setzen an den Ursachen von Armut, Ungleichheit oder Flucht an und verwandeln Destruktives in Konstruktives. Transformativ ist zweitens, was das "gut Zusammenleben " aller Menschen und allen Lebens auf dem Planeten fördert. Transformative gesellschaftliche Veränderungen nehmen drittens wenigstens teilweise vorweg, was als menschen- und umweltgerechteren Gesellschaftsmodellen gesucht wird (Kohärenz von Mitteln und Zielen). Sie sind ein Stück weit Wandlungen im bestehenden System, die gleichzeitig den Wandel des Systems möglich machen. Die "Ökonomie des Lebens" bringt zum Ausdruck, dass es um die Rechte der lebendigen Subjekte und die Fülle des Lebens für alle Kreaturen geht. Sie rückt Menschen und Erde in den Mittelpunkt. Das trifft sich wiederum mit der Enzyklika "Laudato Si’" von Papst Franziskus. Es bieten sich also neue Wege an, auf denen die Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften voneinander lernen können, wie eine verwandelnde Spiritualität den lebenzerstörenden Werten entgegenwirken und dazu beitragen kann, die tödliche "Ökonomie der Habgier" zu überwinden.

1 http://www.oikoumene.org/de/resources/documents/commissions/mission-and-evangelism

Beat Dietschy

Dr. Beat Dietschy ist reformierter Theologe und war bis zu seiner Pensionierung 2015 Geschäftsführer von Brot für alle. Er ist für den Ökumenischen Rat im Vorstand der Mikrofinanzierungsorganisation ECLOF International.