Master in Frieden und Konflikttransformation

Seit 2010 bildet die World Peace Academy (WPA) in Basel Studierende in Frieden und Konflikttransformation aus. Im Programm des Advanced Studies Center der Universität Basel wird dieser Studiengang in Verbindung mit dem Institut für Soziologie mit einem Abschluss «Master of Advanced Studies» (MAS) angeboten. Während des neun Monate dauernden Studiengangs finden jeweils mittwochabends öffentliche Vorträge mit Gastdozentinnen und -dozenten aus der ganzen Welt statt (www.world-peace-academy.ch).

Am Anfang war ein Wunschtraum

Das ganze Projekt war ein Wunsch und ein Anliegen des Ehepaars Pierre und Catherine Brunner Dubey. Catherine Brunner Dubey, Direktorin an der WPA, blickt zurück. Die Idee nahm ihren Anfang, als sie 1995 in Costa Rica die «Peace University» besuchten. Durch dortige Begegnungen erhielten sie die Inspiration für eine Friedensakademie. Nach ihrer Rückkehr entwarf Catherine ein erstes Konzept. Doch im Jahr 1998 zog die vierköpfige Familie in die Toskana und startete das Projekt «Podere Fiorli»: Eine Arbeit mit Drogenabhängigen aus der Schweiz begann. Dennoch liess die Idee einer Friedensakademie beide nicht los. Nach der Rückkehr im 2007 studierten beide an der Friedensuniversität in Stadtschlaining (Österreich). Catherine holte sich den Masterabschluss, während Pierre weiter am Konzept einer «Peace Academy» arbeitete. Catherine weihte den Akademieleiter Dietrich Fischer in die Pläne ein. Als das Projekt Form angenommen hatte, willigte Fischer mit seiner langjährigen Erfahrung ein, als akademischer Direktor mitzuziehen. Im 2009 erhielten sie die Akkreditierung von der Universität Basel für den Lehrplan an der World Peace Academy, welche Pierre Brunner präsidiert. Für den ersten Kurs meldeten sich schon 25 Teilnehmende, auch aus der Schweiz, eine Zahl, die sich eingependelt hat. Catherine Brunner Dubey unterrichtet mit ihrer Ausbildung in Psychosynthese monatlich an zwei Tagen Schlüsselkompetenz für Friedensarbeitende. Ihre dreissigjährige, umfassende Lebenserfahrung im Umgang mit Menschen in schwierigen Situationen und vielfach Behinderten ist eine grosse seelische Ressource. «Frieden hängt mit der eigenen Lebenssituation zusammen. Es geht darum, das eigene Selbstbewusstsein zu erweitern, seine inneren Stärken und Schwächen kennen zu lernen, über sich nachzudenken», sagt sie überzeugt. Denn das erste Instrument eines Friedensarbeiters sei seine eigene Persönlichkeit. Deshalb stehe die Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund. Dazu müsse die Fähigkeit zu kommunizieren entwickelt werden.

Drei Biografien

Wer sind die Studierenden? Ich besuchte einige öffentliche Vorträge und sah mich um. Drei Studierende um die dreissig standen gerade kurz vor ihrem Abschluss. Irene X., Schweizerin, hatte in Bern Politologie studiert. Sie schildert kurz den wöchentlichen Ablauf, das regelmässige Schreiben von Essays, die gemeinsamen Gruppenarbeiten und die Zusammenarbeit mit den wöchentlich wechselnden Dozenten. Für jedes Trimester ist eine Arbeit zu einem frei wählbaren und jeweils wechselnden Thema vorgesehen, das fachfremd sein sollte. Sie hat als Abschlussthema «Antiwaffenhandel» gewählt und will ihr Wissen über Waffenhandel kombinieren mit dem, was sie herausgefunden hat in Bezug auf die Friedenstheorien und -ansätze, die sie an der WPA erlernt hat. Das Thema sollte praxisbezogen sein und konkrete Vorschläge für Verbesserungen einbringen, ausserdem müssten die Theorien umsetzbar sein. Sie hat vor, die Transcend-Methode von Johan Galtung, einen holistischen Ansatz, anzuwenden. Für Galtung sind auf allen Ebenen Verbesserungsvorschläge möglich: Für Gesetzesänderungen; für den Willen von Staaten, gegen Korruption vorzugehen; für die Unterscheidung zwischen legalem und illegalem Markt usw. Damit will Irene aufzeigen, auf welchen Ebenen zum Abbau von Gewalt gearbeitet werden kann und welche Entwicklungen von Staaten geleistet werden sollten, um indirekt einen gewalttätigen Konflikt zu verhindern. Dazu zählt sie auch kulturelle Konflikte, soziale Ungerechtigkeit oder Perspektivenlosigkeit. Solche Konflikte seien alle ohne Anwendung von Gewalt lösbar. Oft sei Waffenhandel jedoch eine Überlebensfrage. Wären Überlebens-Alternativen für die Betroffenen vorhanden, gäbe es sicher auch da Veränderungen, ist sie überzeugt. Irene X. möchte in Uganda mit lokalen Organisationen zusammen das Gelernte anwenden und umsetzen. Sundo Hyun aus Südkorea ist verheiratet, die Familie mit zwei Buben lebt seit 2009 in Kanada. Dort begann Sundo ein Theologiestudium, während seine Frau schon als Teilzeit-Pfarrerin und Jugendbeauftragte arbeitete. Vorher, von 2005 bis 2009, war Sundo in Korea in der progressiven presbyterianischen Kirche (PROK) verantwortlich für die Programmkoordination der Bewegung Frieden und Gerechtigkeit zur Vorbereitung einer Konsultation, es ging um Fragen von Wiedervereinigung mit Nordkorea und sozialen Bewegungen in der Zivil gesellschaft. Von diesem Hintergrund her fasste er den Entschluss, noch mehr für Frieden und Konflikttransformation, im Hinblick auf Nordkorea, zu arbeiten. Damit möchte er einen Beitrag zur Konfliktlösung in einem friedlichen Vereinigungsprozess geben. Die Auslandserfahrungen hätten seinen Horizont erweitert, erklärte er. In der WPA schätzte er vor allem den Wissenshorizont und die Erfahrungen mit anderen Kulturen und Religionen wie Muslime, Hindus oder Atheisten. «Es ist eine grosse Chance, über andere Länder und Weltregionen etwas zu erfahren», meinte er. Die Schweiz als Staat findet er mit ihrer neutralen Haltung und ihrer Geschichte interessant. Die Demokratie sei von hohem Niveau, da verschiedene Kulturen neben- und miteinander leben. Doch erlebt er die Bevölkerung eher als reserviert. Sundo wohnt wie dreizehn andere Mitstudierende in einem Einzelzimmer im nahegelegenen Studentenhaus. Dzikamai Bere aus Zimbabwe engagierte sich im «Zimbabwe Himan Rights NGO Forum» gegen Folter und Gewalt. Die Organisation verfügt über eine Rechtsabteilung, mit deren Hilfe Kompensation für Opfer gesucht wird, weiter eine Forschungs- und Dokumentationsabteilung für die Menschenrechtsverletzungen und schliesslich über die Abteilung für Gerechtigkeit, welche Dzikamai zur WPA schickte. Das Forum setzt sich für den Wiederaufbau sozialen Vertrauens ein. Nach den gewalttätigen Wahlen von 2008 bestehe dafür ein grosser Bedarf, da Zimbabwe auf neue Wahlen zugehe. Bevor diese stattfinden, so Dzikamai, wolle seine Organisation nationale Programme zu Konflikttransformation durchführen, um sicher zu gehen, dass bei den Wahlen keine Gewalt ausbreche. Das Wahldatum sei nicht bestimmt. Zuerst müsse eine Verfassung geschrieben werden, dazu konsultieren Kommissionen die Bevölkerung, schreiben den Text und bereiten die Wahlen für Parlament und Regierung vor. Dzikamai macht dafür Recherchen und will für Konflikttransformation arbeiten. Die Organisation ist sowohl an der Basis wie auf Gemeinde- und nationaler Ebene tätig. Als NGO ist sie international vernetzt. Inzwischen sei der internationale Druck so gross geworden, dass die Regierung sich einverstanden erklärte, den Besuch des UNO-Menschenrechtsrats mit Navanethem Pillay für die Ratifizierung der Antifolterkonvention zuzulassen. Die WPA war Dzikamai eine grosse Hilfe, ihre Lernmethode unterscheide sich von den üblichen Methoden. Dadurch erhielt er neue Perspektiven und Zugänge zu Konfliktlösungen aus einem Friedensansatz heraus. Die belastende geschichtliche Bilanz seines Heimatlandes: die Befreiungskriege zur Beendigung der Kolonialisierung; bürgerkriegsähnliche Zustände für die Unabhängigkeit und jetzt ein sogenannter «Krieg» für die Demokratisierung, ausgehend von Demonstrationen auf den Strassen. Auch ohne Anwendung von Waffen sei dieselbe Haltung und Strategie dahinter, geprägt von Intoleranz und kämpferischen Debatten. Die WPA zeigte ihm andere Wege und Möglichkeiten auf: Der friedliche Zugang bedeute nicht «Entweder-Oder», sondern «Sowohl-als auch». Mediation bedeute, eine andere Sprache zu verwenden. Er habe durch die WPA gelernt, auf die Wortwahl zu achten.

Akademie und Ausbildung

Eine Schlüsselposition hatte bis Ende 2012 Dietrich Fischer als akademischer Direktor inne. Schon früh interessierte er sich für Frieden und Entwicklung. 1978 bot sich zum ersten Mal Gelegenheit zur Vertiefung: An der ersten UN-Konferenz über Abrüstung und Entwicklung in New York legte Wassily Leontief ein Modell der Weltwirtschaft vor. Für Fischer ergab sich die Chance zur Mitarbeit. Im selben Jahr erhielt Fischer den Rat, sich mit dem Friedensforscher Johan Galtung aus Norwegen in Verbindung zu setzen, der als Erster den Begriff «strukturelle Gewalt» eingeführt und analysiert hatte. Galtung lud ihn zur Zusammenarbeit ein, und Fischer konzentrierte sich von nun an auf Friedensstudien.

2003 schlug Galtung Fischer als akademischen Direktor der Friedensuniversität in Stadtschlaining vor. Ab 2009 übernahm er die akademische Leitung der WPA. Fischer erklärt das Anliegen der Ausbildung: Es werden drei Formen von Gewalt auseinandergehalten: 1) die direkte Gewalt, wie Krieg oder Gewaltverbrechen; 2) die strukturelle Gewalt, wie Tod durch Armut, Vernachlässigung; 3) die kulturelle Gewalt: als Rechtfertigung der direkten und strukturellen Gewalt im Rassismus, Nationalismus, Sexismus. Frieden bedeute mehr als Abwesenheit von Krieg. Frieden baue auf Massnahmen auf, welche vergangene Gewalt lindere und heile und zukünftige Gewalt verhindere. Dazu verwenden sie wissenschaftliche Grundlagen, Persönlichkeitsbildung und Förderung von Kompetenz für die Friedensarbeit.

Das MAS-Programm der WPA kommt für alle Kosten selbst auf. Es gelang immerhin, einige Sponsoren zu finden, auch für zwei Vollstipendien für vier Jahre. Jedoch konnte noch keine Stiftung, Firma oder Regierungsstelle gewonnen werden. Das Einkommen bestehe aus den Studiengeldern der Studierenden, erklärte Fischer. Der grösste Teil der Studierenden komme jedoch aus Entwicklungs- und Krisenländern. Viele von ihnen erhalten eine fünfzigprozentige Ermässigung, was nur möglich sei, weil der Mietvertrag für das Gebäude günstige Bedingungen enthalte und die Hälfte des Personals auf freiwilliger Basis arbeite. Die «Friends of the World Peace Academy» zählt 40 Mitglieder. Auch sie tragen zur Finanzierung bei wie indirekt einige Personen mit ihrer Freiwilligenarbeit.

Kritik und Antisemitismusvorwurf

Im Laufe des Jahres 2012 kam Kritik am Dozenten Johan Galtung auf. Es kam mehrfach zu Presseartikeln wegen angeblicher antisemitischer Äusserungen. Fischer nahm dazu Stellung, dass solche Vorwürfe aufgrund von aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen entstanden seien. Er verwies auf die internationale Vermittlungsarbeit von Galtung. Seit 1958 habe er in über 100 internationalen Konflikten meist erfolgreich vermittelt. Seit 1964 habe er Israel und Palästina auf Einladung israelischer Universitäten und Organisationen 40 Mal besucht. Sein Sohn sei mit einer Israelin verheiratet und lebe in Tel Aviv. Ausserdem habe Galtung seit 1971 vorgeschlagen, dass Israel, Palästina und weitere umliegende Länder wie Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten eine Sechs-Staatengemeinschaft bilden sollten wie damals die EWG; eines der erfolgreichsten Friedensprojekte in der Geschichte, aufbauend auf gemeinsamen Interessen wie Wasser, Energie, offene Grenzen. Er habe auch eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten vorgeschlagen, ähnlich der Helsinki-Konferenz 1973–1975, die das Ende des Kalten Kriegs vorbereitete. Dabei habe Galtung immer das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel betont, auch in arabischen Ländern und auf höchster Ebene.

Die WPA sah sich nun aufgrund der Kritik gedrängt, Galtungs Lehrtätigkeit zu suspendieren, weil sie sonst ihre Akkreditierung verlieren könnte und schliessen müsste. Von offizieller universitärer Seite wurde laut Rektor Antonio Loprieno keine Stellungnahme herausgegeben. Es kam zu keiner vermittelnden Aussprache über die Antisemitismus- Vorwürfe mit den beteiligten Personen. Dietrich Fischer hat nun aus zwei Überlegungen heraus sein Mandat als Akademieleiter zur Verfügung gestellt: einerseits aus Altersgründen; andererseits in Solidarität mit Johan Galtung, dessen Galtung-Institut für Friedenstheorie und Friedenspraxis in Grenzach- Wyhlen und Transcend Peace University weiterhin Ausbildungen anbieten.

Was aus der Aussenperspektive auffiel, ist, dass Galtung als Soziologe (und Mathematiker) zu jedem Staat eine kritisch-analytische Haltung einnimmt, ohne gefühlsmässige Voreingenommenheit. Das kann bedeuten, dass er neuartige Sichtweisen einbringt, welche tabuisierte Sichtweisen herausfordern. Dies habe laut Fischer unabsichtlich die Gefühle gewisser Personen verletzt wofür sich Galtung entschuldigte. So kritisierte Galtung die Pläne der gegenwärtigen israelischen Regierung, den Iran anzugreifen, wovor auch viele israelische Generäle warnten; das könne die ganze Region in einen verheerenden Krieg stürzen. Seit 1977 habe Galtung beobachtet, dass Genozide oft dann vorkommen, wenn eine Minderheit durch Talent und Fleiss führende Positionen in Wirtschaft und Kultur erreiche, ohne politische oder militärische Macht zu besitzen. Ein solches machtpolitisches Ungleichgewicht traf die Armenier in der Türkei, die Juden in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg, die Chinesen in Indonesien und die Tutsis in Ruanda. Diese Feststellung, so Fischer, trug Galtung den unangebrachten Vorwurf ein, er schiebe die Schuld für diese Genozide den Opfern zu. Dabei wolle er auf instabile Verhältnisse hinweisen und verhindern helfen, dass sich solche Katastrophen wiederholen. Galtungs Vater sei 1944–1945 in einem Nazi-Konzentrationslager als Geisel eingesperrt gewesen und Galtung habe täglich befürchtet, er würde hingerichtet.

Wir erheben in unserer Kultur, Gesellschaft und wissenschaftlichen Ausbildung soweit als möglich den Anspruch auf vorurteilslose und unabhängige Meinungsbildung. Die Frage drängt sich auf: Wird diesem Anspruch von allen Seiten Genüge getan? Die WPA legt Wert auf menschlichen Kontakt und Betonung von Mitmenschlichkeit. Studierende werden ausgebildet und ermutigt, in ihren konfliktreichen Herkunftsländern durch Mediation auf mehr menschliche Verständigung hin zu wirken. Die Frage kommt auf, inwieweit wir beispielgebend sind und wo wir selbst an unsere Grenzen stossen.

Neue akademische Leitung seit Anfang 2013

Seit Anfang 2013 ist Richard Friedli neuer Akademieleiter der WPA. Der emeritierte Professor für Religionswissenschaften an der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg (1993–2006, von 2003–2005 als Dekan) erhielt anlässlich seines 75. Geburtstags 2012 die Festschrift «Frieden als Beruf. Beiträge aus der Religions- und Friedensforschung » (Herausgegeben von Petra Bleisch Bouzar und Andrea Rota; Pano-Verlag Zürich). Richard Friedli war von 1959 bis 1961 Übersetzer in der vom Dominikaner Dominique Pire, der 1958 den Friedensnobelpreis erhielt, gegründeten «Université de Paix» bei Lüttich. Als Expertenmitglied von Fastenopfer (1972–1992) verfasste er die theologischen Grundlagen für die Bewusstseinsbildungs- Kampagne 1979/80 «Frieden wagen». 1981 erschien in diesem Kontext sein Buch «Frieden wagen. Ein Beitrag der Religionen zur Gewaltanalyse und zur Friedensarbeit». Im europäischen Komitee der «Weltkonferenz der Religionen für den Frieden» wirkte Friedli von 1974 bis 1994 und war an der 3. Weltkonferenz 1978 in Princeton zuständig für den Arbeitskreis «Spiritualität».

Der neue Lehrgang der WPA wird 35 Personen aus 21 Nationen – von Afghanistan über die Schweiz bis nach Kolumbien – ausbilden und mit einem MAS auszeichnen.

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.