Leben mit den Ostkirchen

Die Alexander-Newski-Kathedrale in Tallinn, Estland. (Bild: katholisch.de)

 

«Ein Stück Himmel auf Erden» lautet der Titel des Begleitbandes zu einer Ausstellung über die Ostkirchen, die 2011 von der Stadt Zürich veranstaltet wurde. Wer in oder mit den Ostkirchen lebt, weiss, dass ihre irdische Existenz keineswegs verklärt werden darf. Sie führen ihr Leben mit dem Erbe ihrer jeweiligen Geschichte, in ihren politischen und kulturellen Kontexten. Diese Ausgabe der Kirchenzeitung lädt zum «Leben mit den Ostkirchen» ein. Darum richtet dieses Heft die Aufmerksamkeit vor allem auf die in der Schweiz präsenten Ostkirchen. Sie sind unsere Nachbarn – die wir vielleicht noch gar nicht bemerkt haben. Sie leben auf neue Weise unter uns durch die Migranten koptischer, syrischer und chaldäischer kirchlicher Tradition, die von uns nicht nur materielle Hilfe, sondern auch Heimat im Glauben erwarten.

Was zunächst auffällt, ist die verwirrende Vielfalt orthodoxer Gemeinschaften. «Ostkirchen» heissen sie nach ihrem Ursprung im ehemaligen Oströmischen Reich. Vier Gruppen sind zu unterscheiden, die auch untereinander nicht in einer Kirchen- und Kommuniongemeinschaft stehen:

  1. die assyrischen Kirchen, denen wir vor allem im Irak und Iran begegnen; sie erkennen nur die ersten beiden Ökumenischen Konzilien (Nizäa 325 und Konstantinopel 381) an;
     
  2. die altorientalischen oder orientalisch-orthodoxen Kirchen ägyptischer (koptisch – äthiopisch – eritreisch), syrischer und armenischer Tradition; ihr Territorium lag am Rande oder ausserhalb des Römischen Reiches, sodass sie an den vom Kaiser einberufenen Konzilien nach Ephesus 431 aus politischen Gründen nicht mehr teilnehmen konnten;
     
  3. die Kirchen byzantinischer Tradition, zu der die alten Patriarchate Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem sowie zehn weitere als autokephal anerkannte Lokalkirchen gehören (die orthodoxen Kirchen von Moskau, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Georgien, Zypern, Griechenland, Albanien, Polen und Tschechien/Slowakei); zu dieser Tradition gehören eine Reihe autonomer oder in ihrem Status umstrittener Kirchen;
     
  4. die Kirchen östlicher Tradition (nach Liturgie, Theologie, Kirchenrecht, Glaubens- praxis), die mit Rom in Communio stehen («griechisch- katholische Kirchen» oder «katholische Ostkirchen»).


Die Kirchen, die in der Schweiz mit Gemeinden vertreten sind, sind zu finden auf der Website www.orthodoxie.ch, die weitere nützliche Informationen enthält.

Die katholische Kirche betrachtet all diese Kirchen als «Schwesterkirchen», d. h. als wahre Kirchen Jesu Christi: «Deshalb ist die Kirche Christi auch in diesen Kirchen gegenwärtig und wirksam, obwohl ihnen die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche fehlt, insofern sie die katholische Lehre vom Primat nicht annehmen» (Erklärung «Dominus Iesus», 2000, Nr. 17). Die orthodoxen Kirchen ihrerseits sind zurückhaltend mit dieser Verwandtschaftserklärung. Vielleicht haben sie einfach noch nicht hinreichend erfahren, dass wir uns ihnen gegenüber wirklich als «Schwesterkirchen» verhalten?

Barbara Hallensleben*

 

*Prof. Barbara Hallensleben (Jg. 1957) ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Ue. Sie ist Direktorin des Zentrums St. Nikolaus für das Studium der Ostkirchen und Mitglied der Gemeinsamen Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche.