Kirche als komplexe Wirklichkeit – ein Plädoyer für den Heiligen Geist

Michael Böhnke: Kirche in der Glaubenskrise. Eine pneumatologische Skizze zur Ekklesiologie und zugleich eine theologische Grundlegung des Kirchenrechts. (Verlag Herder) Freiburg–Basel–Wien 2013, 357 Seiten.

Der Autor, Universitätsprofessor für Systematische Theologie an der Universität Wuppertal und Lehrbeauftragter an der Universität Münster, macht sich an das, was schon Yves Congar mit seinem Standardwerk "Der Heilige Geist" (auf Deutsch erstmals 1982 erschienen) versucht hat – eine "Rehabilitation " des Heiligen Geistes. Michael Böhnke will das pneumatische Moment in der Kirche besser zur Geltung bringen und mit dem rechtlichen Element verbinden, die Ekklesiologie soll mit dem Kirchenrecht besser verbunden und versöhnt werden. Der Autor legt eine Skizze vor, will also zum Denken anregen ohne den Anspruch, ein ausgefeiltes Modell vorzulegen. Er stellt fest, dass zu den grundlegenden, nicht durch das Zweite Vatikanische Konzil bearbeiteten Problemen das Verhältnis zwischen Geist und Recht zu zählen ist. Papst Paul VI. sah diese Lücke und rief 1973 vergeblich die Kirchenrechtler zu einem vertieften Studium von Christologie und Ekklesiologie sowie zu einer erneuten Verehrung des Heiligen Geistes auf. – Der Heilige Geist "wirkt die Gewissheit der Wahrheit Jesu, das heisst die in Jesu Leben, Tod und Auferstehung offenbar gewordene Unbedingtheit der göttlichen Liebe, in dem er ihn [= Jesus] stets neu in seinem Sich-Geben vergegenwärtigt" (vgl. S. 310). Böhnke zeigt auf, dass die Liturgie und die Sakramente in diesem Sinne anamnetisch-epikletisch – erinnerndvergegenwärtigend und durch das Gebet um die Gabe des Heiligen Geistes – geprägt sind und die Kirche wie auch das Kirchenrecht in der Treue Gottes gründen – die zentrale These der vorliegenden Skizze. Aber nicht nur die Liturgie und die Sakramente, sondern auch die Diakonie und die Hierarchie können anamnetisch-epikletisch "gelesen" werden. Traditionelle Begriffe werden vom Autor neu eingeordnet; das Charisma z. B. wird nicht individuell einer Person zugeschrieben, sondern als kontextspezifisches Phänomen gesehen. Als Ertrag hält Böhnke fest, dass der anamnetischepikletische Charakter der Kirche die Behebung von Spannungen, welche durch das letzte Konzil nicht gelöst sind und die Kirche bis heute stark belasten, ermöglicht. Der Autor legt mit seinen Vorschlägen auch Spuren für eine Reform der Kirche, zu der diese nach LG 8 ständig aufgerufen ist: "Eine Kirche, die sich in ihrem anamnetisch-epikletischen Vollzug auf die verheissene Treue Gottes ausrichtet, auf sein eschatologisches Versprechen, nichts und niemanden verloren gehen zu lassen, ist offen für Reformen und Erneuerung, weil sie sich selbst als Subjekt geschichtlich versteht und weil sie nur so durch die Zeitläufte hindurch für alle und jeden erreichbar ist" (S. 252). Die "Skizze" von Michael Böhnke ist keine "leichte Kost", aber höchst anregend und bedenkenswert.

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.