Johann Baptist Metz (*1928)

Eine Theologie mit dem Gesicht zur Welt

Johann Baptist Metz ist einer der profiliertesten und einflussreichsten Theologen der Gegenwart. Seine Theologie der weltzugewandten, offenen Augen, vor allem gegenüber dem Leid und der Not, erlebt unter Papst Franziskus eine neue Blüte. Theologie aber fällt nicht einfach vom Himmel. Jeder Mensch bringt seine persönlichen und geschichtlichen Erfahrungen mit. Daran hat Johann Baptist Metz, der Begründer der «neuen politischen Theologie», immer wieder erinnert. Sein Leben und sein ganzes theologisches Arbeiten sind seit sechzig Jahren geprägt von einem tragischen Ereignis am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Sechzehnjährige kehrte nach einem Auftrag, der ihn von seiner Kompanie weggeführt hatte, wieder zu seinen Kameraden zurück. Doch er fand sie alle tot. «Ich konnte ihnen nur noch ins erloschene Antlitz sehen», wird er später sagen und schreiben. «Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei.»

Diese Erfahrung wurde für Metz zur Unterbrechung, zum Anstoss einer bis heute andauernden, beunruhigten Rückfrage nach Gott und nach der Gerechtigkeit für alle unschuldigen Opfer in Vergangenheit und Gegenwart. «Gott zu sagen, unter den schrecklich erschwerten Bedingungen dieser Zeit», ist sein erklärtes Ziel. Theologisch geprägt wurde Metz vor allem von seinem Lehrer Karl Rahner. Ihm schreibt er die Entdeckung des modernen, mündigen Subjekts für die Gottesrede zu. Aber schon früh begann Metz, den seiner Ansicht nach geschichtslosen Denkrahmen Rahners aufzusprengen: «Wenn Theologie alle Fragen wirklich perfekt beantworten kann, ist es schon falsch. Es geht auch um den Schrei des leidenden Menschen, den unbeantworteten Schrei.»

Immer wieder warnte und warnt Johann Baptist Metz die christliche Theologie vor einem Vergessen und Verdrängen der Schoah. Dieser Zivilisationsbruch von Auschwitz sei ein Attentat auf alles gewesen, «was auch uns Christen hätte heilig sein müssen». Und so fragte er Rahner wie sich selbst, «warum man unserer Rede von Gott eine solche Katastrophe wie überhaupt die himmelschreienden Leidensgeschichten der Menschen so wenig ansieht und anhört». Kein Wunder, dass Metz seit den 68er-Jahren für einen «politischen» Ansatz der Theologie stand, für ihren Anspruch, sich öffentlich und systemkritisch zu Wort zu melden. «Theologie nach Auschwitz» ist für ihn nur denkbar im Widerspruch gegen jene, die im Angesicht der leidenden anderen weiterlebten und weiterdachten wie zuvor.

Seine Theologie steht für eine Erinnerung, die die Schoah und den Tod, die Opfer, ihr Leid, ihren Schrei nicht ausblendet und in diesem Sinne eine «gefährliche Erinnerung» ist. Mitten hinein in seine Zeit stellte er eine Frage, die es in sich hatte und noch immer wirkt wie eine Glut, die stets aufs Neue Kontroversen entfacht: «Athen gegen Jerusalem?» hiess die Provokation, mit der er seine Kirche wie die Theologie aus dem Schlummer riss und in eine heilsame Unruhe versetzte. Warum interessiert sich die Kirche mehr für die Erlösung der Schuldigen als für die Gerechtigkeit gegenüber den Opfern der Geschichte?

Seine Antwort darauf ist klar und eindeutig: Weil die Kirche das Christentum halbiert hat, hat sie ihre jüdischen Wurzeln verleugnet und will nicht wahrhaben, dass Jesus Christus der gefolterte und der gekreuzigte Jude ist. Sie schlägt das «Denkangebot» aus, das Israel dem Christentum mit auf den Weg gab: die «Memoria passionis», das Eingedenken von geschichtlichem Leid, von Unrecht und Gewalt. Metz lässt keinen Zweifel daran: Die Geschichte des Abendlandes wäre sicher weniger grausam gewesen, wenn das jüdische Gottesgedächtnis, die Revolte gegen die Normalität von Herrschaft und Gewalt, nicht unterdrückt worden wäre. «Es gibt kein Leid in der Welt, das uns nicht angeht.» Dieser Satz könnte als Titel über dem gesamten Werk von Johann Baptist Metz stehen. Empfindsamkeit für das Leid des anderen – das ist sein «Weltprogramm des Christentums». Nicht zum vagen Mitgefühl oder folgenlosen Mitleid, sondern zur «teilnehmenden Wahrnehmung fremden Leids» sind die Christen aufgerufen. Das Leid muss zur leitenden Autorität aller Theologie und der Kirche werden. Die «Compassion», das «Mitleiden», wurde für ihn zur neuen Schlüsselkategorie, die nicht nur für den privaten Lebensbereich gelte, sondern auch und vor allem für das öffentliche politische Leben. Sie enthalte ein Friedensethos für die globalisierte Welt, denn das schuldlose Leid ist die innere Autorität einer Weltmoral, «die von keiner Religion, auch von der Kirche nicht, hintergangen oder relativiert werden kann». Christlicher Glaube sei ein Gerechtigkeit suchender Glaube, «geprägt von einer Mystik der offenen Augen» und der Mitleidenschaft.

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Die bisher erschienenen Bände der Gesamtausgabe

Johann Baptist Metz: Mit dem Gesicht zur Welt (= Gesammelte Schriften Band 1). (Herder Verlag) Freiburg 2015, 294 Seiten.

Johann Baptist Metz: Frühe Schriften, Entwürfe und Begriffe (= Gesammelte Schriften Band 2). (Herder Verlag) Freiburg 2015, 336 Seiten.

Thomas Schnelling

Für Thomas Schnelling, Chefredaktor der katholischen Schweizer Wochenzeitschrift «Sonntag», ist Johann Baptist Metz der theologische Lehrmeister.