Interpretationshilfen für das nachsynodale Schreiben «Amoris Laetitia»

Die einleitenden Worte des Apostolischen Schreibens sind für dessen Verständnis von besonderer Bedeutung, deshalb hier AL 1–3 im Wortlaut, gleichsam als Zusammenfassung der Bischofssynoden 2014/15 und als Ausblick.

«1. Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche. So haben die Synodenväter darauf hingewiesen, dass trotz der vielen Anzeichen einer Krise der Ehe ‹vor allem unter den Jugendlichen der Wunsch nach einer Familie lebendig [bleibt]. Dies bestärkt die Kirche.› Als Antwort auf diese Sehnsucht ist ‹die christliche Verkündigung über die Familie […] wirklich eine frohe Botschaft›.

2. Der synodale Weg hat ermöglicht, die Situation der Familien in der heutigen Welt offen darzulegen, unseren Blick zu weiten und uns die Bedeutung der Ehe und der Familie neu bewusst zu machen. Zugleich machte uns die Vielschichtigkeit der angesprochenen Themen die Notwendigkeit deutlich, einige doktrinelle, moralische, spirituelle und pastorale Fragen unbefangen weiter zu vertiefen. Die Reflexion der Hirten und Theologen wird uns, wenn sie kirchentreu, ehrlich, realistisch und kreativ ist, zu grösserer Klarheit verhelfen. Die Debatten, wie sie in den Medien oder in Veröffentlichungen und auch unter kirchlichen Amtsträgern geführt werden, reichen von einem ungezügelten Verlangen, ohne ausreichende Reflexion oder Begründung alles zu verändern, bis zu der Einstellung, alles durch die Anwendung genereller Regelungen oder durch die Herleitung übertriebener Schlussfolgerungen aus einigen theologischen Überlegungen lösen zu wollen.

3. Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen. Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. Dies wird so lange geschehen, bis der Geist uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), das heisst bis er uns vollkommen in das Geheimnis Christi einführt und wir alles mit seinem Blick sehen können. Ausserdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen. Denn ‹die Kulturen [sind] untereinander sehr verschieden, und jeder allgemeine Grundsatz […] muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll›.»  

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.