«Getraut euch, euch zu freuen!»

Frère Richard ist derzeit in der Schweiz, um gemeinsam mit anderen das Europäische Jugendtreffen vorzubereiten. Dieses findet vom 28. Dezember bis 1. Januar in Basel statt.

Frère Richard (Jg. 1959) stammt aus Bargen BE und gehört seit 1979 
der Gemeinschaft von Taizé an. (Bild: Fabio Theus)

 

SKZ: Das Treffen ist eine weitere Etappe auf dem «Pilgerweg des Vertrauens». Können Sie uns erklären, was der Sinn dieses Pilgerweges ist?
Frère Richard: Anfang der 70er-Jahre haben die Treffen in Taizé stark zugenommen. Es war eine Zeit des Aufbruchs in den verschiedenen Kirchen. Frère Roger, der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, wollte, dass auch die jungen Menschen mitreden und sich einbringen können. So kam die Idee eines «Konzils der Jugend» auf, das dann im August 1974 eröffnet wurde.

Ein Jahr später fand ein «Tag des Volkes Gottes» statt. Die Erzbischöfe von Paris und München nahmen daran teil und machten den Jugendlichen bewusst: Wir brauchen Neuerungen in der Kirche, doch diese müssen in den lokalen Pfarreien verwurzelt sein. Es war somit eine Einladung, sich in Taizé zu engagieren, dann aber wieder in die eigenen Pfarreien zurückzugehen. Die Jugendlichen gaben zu bedenken, dass es zwischen Taizé und den Heimatpfarreien doch grosse Unterschiede gäbe: «Ihr seid an einem schönen Ort und habt diese schönen Gebete, wir sind in einer ganz anderen Situation.»

So beschloss Frère Roger, dass die Brüder diese Jugendlichen zurückbegleiten müssen. Zunächst sprach er von einem «Pilgerweg der Versöhnung». Doch er merkte, dass das Wort «Versöhnung» zu schwer, zu bedeutungsvoll sei. Er hatte dann die Idee, dass «Vertrauen» das bessere Wort wäre: Vertrauen auf Gott, Vertrauen zueinander.

Das erste europäische Treffen fand am Jahreswechsel 1978/79 in Paris statt. Da es ein Pilgerweg sein sollte, waren die Treffen immer an anderen Orten. Der Grundgedanke war, dass nicht nur die fünf Tage des Treffens diesen Pilgerweg des Vertrauens darstellen sollten, denn das ganze christliche Leben ist ein Pilgerweg des Vertrauens. Jeder einzelne Tag ist ein Pilgerweg des Vertrauens.

 

Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Pilgerweg schon gemacht?
Als Gemeinschaft wissen wir auch nicht immer, wohin es geht. Wir müssen darauf vertrauen, dass es weitergeht, dass wir Lösungen finden, auch wenn es schwierig scheint. Wir sind in der Nachfolge Jesu. Jesus hat seinen Jüngern nie gesagt, wohin es geht. Er sagte nur: «Kommt mit». Ich glaube, viele Jugendliche, die nach Taizé kommen, wissen nachher nicht unbedingt, was sie tun sollen. Sie haben aber das Vertrauen gefunden, dass es gut werden kann.

Zurück zum Pilgerweg des Vertrauens. Ziemlich schnell kamen Anfragen, ob die Treffen des Pilgerweges nicht auch in aussereuropäischen Ländern stattfinden könnten. Diese Treffen in Indien, auf den Philippinen, in Südafrika usw. sind nur ein kleines Zeichen. Denn was sind schon 100 000 Jugendliche verglichen mit den insgesamt siebeneinhalb Milliarden Menschen auf der Welt? Doch diese Treffen zeigen die Verbundenheit über die Grenzen hinweg. Die Kirche wird als der Ort erfahren, wo Grenzen und Positionen überschritten werden.

Bei den Treffen wissen die Gastfamilien nicht, wen sie aufnehmen werden, und umgekehrt wissen die Jugendlichen nicht, zu wem sie kommen. Im Jahr 2012 war ein Treffen in Ruanda. Das Land leidet noch immer unter dem Krieg, unter den Spannungen zwischen Hutu und Tutsi. Beim Treffen wurde nicht kontrolliert, wer zu wem kam. Es gab dadurch Erfahrungen, in denen das Vertrauen konkret wurde. Dies ist möglich, weil man weiss, dass es nicht isoliert ist, sondern im Rahmen des gemeinsamen Vertrauens in Gott, das vor allem im gemeinsamen Gebet zum Ausdruck kommt.

 

Was beim Lesen der Internetseite von Taizé überrascht, ist die Tatsache, dass einige Brüder auch in anderen Ländern arbeiten, so etwa in Südkorea oder in Bangladesch. Seit wann gibt es Brüder ausserhalb von Taizé und wie ist es dazu gekommen?
Nach dem Gründungsgedanken von Frère Roger sollte die Gemeinschaft nicht mehr als zwölf Brüder umfassen. Es waren mit der Zeit dann doch mehr als zwölf Brüder (schmunzelt). So entstand eine erste weitere Gemeinschaft in einem 30 Kilometer entfernten Industriegebiet. Später eine in Marseille, wo es schon damals Probleme durch die Migration gab. Dann kam eine in Algerien – noch während des Algerienkrieges von 1954 bis 1962 – und so weiter.

Frère Roger wollte immer das solidarische Engagement für jene, die in Not sind, und das Gebet: Kampf und Kontemplation. So heisst ja auch eines seiner Bücher aus dem Jahr 1973 «Lutte et contemplation». Wir möchten gegenwärtig sein durch Arbeit, Gebet und Gastfreundschaft.

Wir haben Brüder, die aus Indonesien, China oder aus den Bergen Boliviens kommen. Für diese ist der Weg nach Frankreich ein riesiger Schritt. Ganz anders, als es für mich damals war. Ich lebe heute nur gerade 200 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt. Es entspricht dem Gleichnis von Gemeinschaft, welches wir leben, dass wir dahin gehen, wo sie herkommen. Als ein Zeichen der Gemeinschaft.

 

Was wünschen Sie sich von den und für die Jugendlichen?
Ich wünsche mir sehr, dass sie ihre Gaben einbringen und sich nicht von dem erdrücken lassen, was ihnen die Gesellschaft vorgibt. Wenn ich mich an meine eigene Jugend erinnere: Es ist nicht alles zu Ende gedacht oder ausgewogen, was Jugendliche sich wünschen. Doch es ist unbedingt nötig! Wenn niemand eine Erwartung, eine Utopie äussert, dann wird es traurig in unserer Welt.

Ich wünsche mir auch, dass die Jugendlichen Vertrauen finden und merken, dass sie etwas können. Sie können etwas machen füreinander, was sie ja auch schon tun. Und ich wünsche mir, dass sie in dieser schnelllebigen Zeit Orte finden, wo sie aufatmen, sich selber sein und ein bisschen unbeschwerter sein können. Dieses ständige Informiertseinmüssen und Informieren bedrückt auch. So wünsche ich mir für sie, dass sie Freude finden.

 

Den erschrockenen Hirten auf dem Feld in Bethlehem wurde zugerufen: «Fürchtet euch nicht!» Was möchten Sie den Menschen heute zurufen?
Habt keine Angst! Aber auch: Ihr braucht keine Angst zu haben, weil Gott da ist, weil Jesus geboren ist, weil Christus auferstanden ist und unter uns lebt.

Aber ich muss dazu auch sagen: Das habe ich erst wirklich durch andere Menschen erfahren. Innerlich habe ich es gespürt, doch diese Gegenwart von Gott, von Jesus Christus, wird erst konkret durch Menschen, die etwas ausstrahlen. Es können junge oder alte Menschen sein, die ein lebendiges und leuchtendes Bild von Christus sind, etwas widerstrahlen von ihm. Geht diese Menschen suchen!

Habt keine Angst und getraut euch, euch zu freuen! Eine Erfahrung, die ich in Taizé gemacht habe, ist folgende: Wenn Sorgen und Angst zu gross sind, dann kann man sie betrachten, wie man will, sie gehen nicht weg. Was helfen kann, ist, jemandem zu begegnen, der einen wirklich versteht und sagt: Es kommt schon wieder gut.

Und was auch hilft, ist, laut zu singen (lacht). Beim Loben und Danken, beim Singen vergisst man sich selbst. Dies kommt an Weihnachten zusammen. Die Engel sagten: ‹Habt keine Angst›, und sie haben gesungen. Das ist mir wirklich wichtig. Habt keine Angst, zu singen!

Rosmarie Schärer

Mth Rosmarie Schärer ist Fachredaktorin der SKZ und lebt in Chur.