Für die Sünde tot?

Osternacht: Röm 6,3-11 (diverse; Lk 24,1-12)

Die Osternacht war seit der Frühzeit der Kirche der Tauftermin für die Katechumenen, die sich über längere Zeit darauf vorbereitet hatten. Hier in der Feier unseres zentralen Glaubensgeheimnisses von Tod und Auferstehung des Herrn wurden die Täuflinge in die Gemeinschaft der Christusgläubigen aufgenommen. Noch heute erinnert die Taufwasserweihe in der Liturgie der Osternacht an diese Tradition und ruft allen Getauften ihre eigene Taufe in Erinnerung. So wundert es nicht, dass ein zentraler Paulustext über die Taufe aus dem Römerbrief in der Osternacht nach sieben Lesungen aus dem AT und noch vor der Taufwasserweihe als neutestamentliche Epistel gelesen wird. Er bringt auf eindrückliche Weise die Taufe und das neue Leben der Getauften im Zusammenhang mit dem österlichen Geheimnis zur Sprache.

Die Taufe und Röm 6,3-11 im jüdischen Kontext

Rituelle Waschungen als Zeichen der inneren Reinigung des Menschen waren in fast allen Religionen der Antike weit verbreitet. Auch das Judentum kannte rituelle Waschungen von Personen und Gegenständen, um sie nach Verunreinigung wieder rein zu machen. In Qumran wurden tägliche Tauchbäder vollzogen, um sich auf das Mahl in der Gemeinschaft vorzubereiten. Das Judentum kannte auch – wohl schon zur Zeit Jesu – als Initiationsritus die sog. Proselytentaufe. Der Übertritt von Nichtjuden zum Volk Gottes geschah zwar durch die Beschneidung. Aber anschliessend folgte ein Bad, das rein machte für die Verehrung des Gottes Israels. A nderer Art ist die Taufe des Johannes, die für diesen so charakteristisch war, dass er den Beinamen «der Täufer» erhielt. Für ihn war die Taufe (durch Untertauchen im Jordan) das Zeichen der Busse und der Bekehrung in Erwartung der messianischen Zeit. Jesus selbst liess sich von Johannes taufen und war wohl einige Zeit sogar ein Jünger des Täufers. Johannes-Jünger gehörten auch zu den Ersten, die Jesus nachfolgten (Joh 1,35-40). Nach Joh 3,22-30; 4,1-2 tauften am Anfang seines öffentlichen Wirkens auch Jesus selbst und seine Jünger, wohl im Sinne der Johannes-Taufe. Der Schluss des Mt-Evangeliums (28,19-20) berichtet, dass der auferstandene Jesus seinen Jüngern den Auftrag gab: «Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.» Wie immer es um die historische Genauigkeit dieser matthäischen Abschiedsworte Jesu steht: Jedenfalls spiegeln sie die Taufpraxis der frühen Kirche wider. Es ist deutlich, dass für die frühen Christen von Anfang an die Taufe als Initiationsritus üblich war, aber nun nicht mehr im Sinne der Buss- Taufe Johannes_ des Täufers. In ihr vollzog sich vielmehr die Aufnahme in die Gemeinschaft der Christusgläubigen. So bezeugen es nicht nur die Apg (2,38–41; 8,12.36–39; 9,18; 10,47–48; 16,15.33;18,8), sondern auch Paulus mit seinen Briefen, in denen er öfters auf die Taufe Bezug nimmt. Durch sie wird der/die Getaufte ein Jünger bzw. eine Jüngerin Christi und empfängt den Hl. Geist (Apg 2,38; 9,17; 10,44–48). Das Johannesevangelium deutet die Taufe als Wiedergeburt aus «dem Wasser und dem Geist» zu einem neuen Leben, das den Zugang zum Reich Gottes eröffnet (Joh 3,3–7). In Röm 6,3–11 verbindet Paulus die Taufe mit dem Tod und der Auferstehung Jesu. Der Täufling nimmt in ihr am Kreuzestod Jesu teil und empfängt die Verheissung, auch an seiner Auferstehung teilzuhaben (Röm 6,4-5): «Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein.» In fast mystisch zu nennender Weise – die künftige Kirche wird es «sakramental» nennen – wird der Täufling mit Christus vereint in seinem Tod und in seiner Auferstehung. D ie Formulierung des Apostels macht aber deutlich, dass die Taufe nicht nur in der Zukunft der Verheissung, in der künftigen Auferstehung, wirkt. Schon in der Gegenwart der Taufe werden wir zu einem neuen Leben auferweckt. Das wird im Zusammenhang von Röm 6 verdeutlicht. In Röm 5 hatte Paulus nämlich ausgeführt, dass vor dem Christusereignis der Mensch unter der Herrschaft der Sünde stand, die durch das Gesetz noch verstärkt wurde. «Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergross geworden» (5,20). Das heisst für Paulus aber nicht, dass wir uns nun als Getaufte unbesorgt der Sünde hingeben können, da die Gnade ja mächtiger ist. Im Gegenteil: Wenn wir in der Taufe mit Christus gekreuzigt wurden, sind wir für die Sünde gestorben und haben ein neues Leben bekommen. Freiheit von Sünde und Gesetz heisst frei sein für ein Leben für Gott (6,11). Die Taufe ist also für Paulus nicht nur eine mystische Vereinigung mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen, sondern auch der Ruf zu einem Leben «in Christus Jesus» (6,11), das frei ist vom Zwang der Sünde.

Heute mit Paulus im Gespräch

Die Taufe bedeutet sterben und wieder auferstehen, und zwar zu einem neuen Leben, das der Taufe entspricht. Wenn Eltern ihr Kind taufen, heisst das also nicht nur, dass sie es als «Kind Gottes» unter den Schutz und Segen Gottes stellen – so sehr auch das ein wichtiger Aspekt der Taufe ist. Für Paulus ist die Taufe auch neues Leben. Und das heisst, dass das «alte» Leben nicht einfach weitergeht; es bekommt eine neue Dimension. Das kleine Kind, das getauft wird, merkt noch nichts davon. Aber für die Eltern (und andere Menschen, die es ins Leben hinein begleiten) hat es unmittelbare Folgen. Sie sollen ihm helfen, dieses «neue» Leben dem Alter entsprechend zu verwirklichen, bis es einmal in der sog. «Erneuerung der Taufgelübde» nach Erstkommunion und Firmung schrittweise (und dann jedes Jahr in der Osternacht) für sich selbst Verantwortung übernimmt.

 

«Taufschein-Christen» sind für Paulus somit keine sinnvolle Variante des Christ-Seins. Dabei versteht Paulus dieses Taufverständnis nicht als moralischen Appell, sondern als Befreiung. «Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit (?) wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei von der Sünde» (6,6–7). Haben wir noch einen Sinn für diese Art von Befreiung, für die Befreiung von unguten Zwängen? Am ehesten können wir es erleben, wenn es sich um schlechtes Verhalten im Sinne einer Sucht oder Leidenschaft handelt. Andere können vielleicht so etwas wie Befreiung spüren, wenn wir uns gegen unlautere Motive zu einer guten Entscheidung durchgerungen haben. Aber für die Tiefensicht des Paulus gilt das für die Sünde überhaupt. Taufe ist für ihn das Geschenk eines neuen, befreiten Lebens. E ines ist auf jeden Fall sehr deutlich: Die Taufe hat nicht nur mit unserer Zukunft nach dem Tod zu tun (an die heute immer weniger Menschen glauben), sondern auch mit der Gegenwart im Alltag und in unserer Welt. Das jedenfalls ist die Botschaft des Apostels Paulus. Und es ist keineswegs eine veraltete, heute überflüssige Botschaft!

 

Franz Annen

Franz Annen

Dr. rer. bibl. et lic. phil. et lic. theol. Franz Annen war von 1977 bis 2010 ordentlicher Professor für Neutestamentliche Exegese und von 1999 bis 2007 auch Rektor der Theologischen Hochschule Chur