Die Mystikerin Mechthild von Stans

 

Unser Herr spricht: «Wer alle Dinge lässt, der soll sie hundertfältig wiedernehmen und dazu das ewige Leben.» Und dies hat sich bewahrheitet an der grossen, seligen Schwester Mechtild von Stans, die in allem ihren Gebaren so völlig erwies, dass ihre Seele allen Trost dieser Welt verschmäht hatte; und darum begegnete ihr auch das alleinige Gut, das Gott selber ist, in so reicher Weise, dass in ihr aufwallte ein Brunnen des ewigen Lebens. Da dieser auserwählte Mensch zuerst in dies Kloster kam, da hatte sie niemand besondern, der ihr tröstlich oder behilflich war. Und weil die so ein fröhlich Herz hatte, tat ihr das gar weh, und doch kehrte sie sich an den Herrn alles Trostes und begehrte, dass er die tröste; und das tat er auch vollkommen. [...]

Einsamkeit und Schweigsamkeit liebte sie von Herzen. An Tagen, wo sie unsern Herrn empfing, und alle Freitage im Advent und in den Fasten schwieg sie emsiglich. Und wenn sie Gesellin war, so blieb sie es vorher so lange, dass sie dann dessen ledig war und zu ihrer Zeit ganz schweigen konnte. Sie verehrte auch unseres Herrn Marter emsiglich und mit heissem Ernst; und sein Leiden hatte ihr Herz und Kräfte also durchdrungen: wenn man zu Tisch von unseres Herrn Leiden las, so wurde ihr Herz so bewegt, dass sie gar nichts essen konnte, und sie kam in ein inniges Weinen und verlor vor überströmender Andacht das Bewusstsein, so dass man sie später, wenn der Konvent wegging, von dannen führen musste. Und so geschah es ihr oft vor unermesslichem, inbrünstigem Schmerz. [...]

Sobald dieser reine, auserwählte Mensch hier herein gekommen war und alle Welt um Gott gelassen hatte, da opferte sie das alles unserem Hernn edel auf und sprach aus eigenem Herzen: «O Herr, mein Gott, nun hab’ich um deine Liebe diese ganze Welt gelassen und alles, was mir zu Lieb und Trost werden möchte; nun bitt ich dich durch dein göttliches Erbarmen und durch deine unsägliche Güte, dass du mein Trost sein wolltest.» [...]

Text und Illustration: Von der seligen Schwester Mechthild von Stans aus dem Tösser Schwesternbuch*

 

* Das Leben der Schwestern zu Töss, beschrieben von Elsbet Stagel, herausgegeben von F. Vetter, 1906.