«Blühe, wo du gepflanzt bist!»

Liebe Seelsorgerinnen und Seelsorger!

«Blühe, wo du gepflanzt bist!» ist ein geistliches Wort, das uns der heilige Franz von Sales überliefert. Es ist ein Wunsch, gleichzeitig ein Auftrag. Es ist ein ganz persönliches Wort, direkt an mich gerichtet. Es betrifft unmittelbar mich selbst und den Ort, an dem ich bin.

Die Tage um den Jahreswechsel herum, Silvester und Neujahr, sind eine Zeit der Vorsätze. Vorsätze sind, wie der Spruch des Franz von Sales, persönlicher Wunsch und Auftrag. Das Gute daran ist, dass wir dann, wenn wir uns Vorsätze nehmen, weniger rückwärts schauen, sondern nach vorne blicken. Wir werden durch Vorsätze zukunftsgewandt. Wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern auf die Zukunft hin. Ein Vorsatz hilft uns, zu dem, was war, zu stehen. Wir freuen uns über das Geglückte und Gelungene, und gleichzeitig sehen wir Unerledigtes, Ergebnisloses und Missratenes. Indem wir es als das sehen, was es ist, es also benennen und einordnen, urteilen wir. Daraus folgt eine Handlungsoption, ein Vorsatz. Er betrifft konkret mich selbst und meinen Ort, an dem ich stehe. Wer sich Vorsätze nimmt, zieht Konsequenzen aus der Vergangenheit. Die Zukunft soll nicht mehr wie die Vergangenheit sein; sie soll besser sein. Eine blühende Zukunft soll sie sein!

Bei unseren Vorsätzen gibt es allerdings eine Gefahr. Sie besteht im Blendwerk, in einer Art Aufschneiderei gegenüber uns selbst. Massloses Welt- und Kirchenverbessertum gehören dazu. Gelingt es dann nicht oder nur sehr zaghaft, macht sich grosse Enttäuschung breit. Die Flinte wird ins Korn geworfen, und wir sind wieder da, wo wir am Tag vor dem Vorsatz waren. Die Gefahr des guten Vorsatzes ist die Kapitulation vor der Überschätzung seiner selbst in Anbetracht der realen Möglichkeiten. Um dieser Gefahr vorzubeugen, sollten unsere Vorsätze nicht nur gut, sondern auch klug sein. Kluge Vorsätze sind bescheiden. So werden sie realisierbar. Ein kleiner Schritt, der gegangen wird, verändert (uns) mehr als ein grosser, den wir nicht gehen können. Kleine Schritte sind nicht nur beherrschbar; sie können auch einfacher korrigiert werden. Das bewahrt vor selbst eingebrockter Frustration.

Kluge Vorsätze sind realisierbar. Sie stehen in der Wirklichkeit. Träume und Visionen, die wir hoffentlich alle auch haben und hegen, bleiben dabei wichtig. Sie behalten ihre Gültigkeit und ihren Sinn. Doch müssen die Träume, um Wirklichkeit zu werden, auf der Ebene der konkreten Handlung eine Gestalt annehmen, die praktikabel ist. Im Apostolischen Schreiben «Evangelii Gaudium» von Papst Franziskus steht dazu ein Wort, das gut zu dieser Situation passt. Es gehört zu den erstaunlichen Sätzen dieses Schreibens und heisst: «Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee» (EG 231–233). Diese Aussage ist ein kleiner Titel, der als Prinzip dient. Er steht im vierten Kapitel, das sich der sozialen Dimension der Evangelisierung widmet, und dort im Zusammenhang des Abschnitts über das Gemeinwohl und den sozialen Frieden (EG 217–237). Wir können die Gedanken dieses Abschnitts gut und gern auch auf die Kirche anwenden. Sie hat ja auch, wie die Völker und Nationen, eine spezifische Sozialgestalt, oder besser in der Mehrzahl: Sozialgestalten.

«Die Wirklichkeit steht über der Idee» (EG 233). Wenn man den Satz losgelöst von seinem Kontext liest, könnte man fast meinen, jetzt komme eine Abhandlung zu «platonisierenden» Theologien. Die Ausführungen des Papstes sind aber alltagssprachlich abgefasst. Es geht hier offenbar entscheidend darum, bei allen unseren Bemühungen um sozialen Frieden zunächst der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Was zählt, ist der reale Frieden, nicht die noch so gut durchdachte Idee von Frieden. Die Ideen und die Vorstellungen, die wir uns vom Frieden machen, müssen sich an der Wirklichkeit messen lassen, weil nur dann ein persönliches Engagement möglich ist. Genau dieses sprechen wir mit einem Vorsatz an. Er nimmt uns persönlich und aktiv in die Pflicht. Ein Vorsatz gehört deshalb ins Reich der Wirklichkeit und nicht ins Reich der Ideen.

In unseren Deutschschweizer Diözesen und Ordensgemeinschaften und ihren verschiedenen Sozialgestalten herrscht an manchen Orten Frieden, an anderen weniger oder fast gar nicht. Das gilt auch und zuerst für uns Seelsorgerinnen und Seelsorger. Das Zeugnis des Glaubens fordert von uns, mit dem Frieden bei uns selbst anzufangen. Was das konkret bedeuten kann, wissen Sie selbst am besten. In jedem Fall gehören dazu der Respekt vor der anderen Person, die Wertschätzung ihrer Fähigkeiten, die Achtung der verschiedenen kirchlichen Dienste, Orte und Zuständigkeiten, die Anerkennung des spezifischen Auftrags, die jeder Seelsorgerin und jedem Seelsorger persönlich zukommt. Vielleicht kommt dann die eine oder der andere darauf, dass es richtig und weise ist, sich selbst auch einmal zurückzunehmen, und zwar nicht aus Kleinmut oder Schwäche, sondern weil das Ganze, wie der Papst weiter ausführt, dem Teil übergeordnet ist (vgl. EG 234–237).

Konflikte sind unvermeidlich; sie gehören zur Wirklichkeit. Sich dieser Wirklichkeit stellen bedeutet, dass wir die Konflikte erkennen und offen benennen. Es ist niemandem und am wenigsten dem Evangelium geholfen, wenn wir sie ignorieren oder einfach zur Seite schieben. Sie betreffen in unseren Ortskirchen auch das Verhältnis der verschiedenen Dienste untereinander, Religionspädagoginnen, Katecheten, Pastoralassistentinnen, Priester, Bischöfe. Wir alle haben verschiedene Aufgaben, die aus unserem kirchlichen Auftrag und unserer Stellung erwachsen. Ein gelingendes Miteinander bei dieser grossen Verschiedenheit, und angesichts der manchmal übergrossen Erwartungen ist es nicht immer leicht. Wir können nicht alle Fragen auf einmal beantworten und alle Herausforderungen auf einmal meistern, wir können die Spannungen nicht alle auf einmal lösen und auch nicht alle Probleme auf einmal aus der Welt schaffen. Aber wir können gemeinsam Schritte tun. Dadurch zeigen wir, dass die Einheit mehr wiegt als der Konflikt (vgl. EG 226–230). Mit Schritten, auch kleinen, lösen wir uns aus der Verstrickung und der Lähmung, die alle Konflikte mit sich bringen. Das befreit. Wir blühen auf. Es macht uns neu fähig, den Auftrag zu erfüllen, für den wir uns haben in Dienst nehmen lassen: die Verkündigung der Freude des Evangeliums. Wir alle haben dazu unseren Platz und unseren Ort: «Blühe, wo du gepflanzt bist!»

Wenn wir uns vornehmen, da, wo die Kirche Gottes uns gesandt und gepflanzt hat, zu blühen, dann freuen wir uns schon bald über den blühenden Garten, den Papst Johannes XXIII. uns zu pflegen aufgerufen hat. Ich danke Ihnen für Ihren Dienst, den Sie jahraus, jahrein treu und engagiert verrichten, für das Zeugnis und die Verkündigung des Evangeliums, und ich wünsche Ihnen ein gesegnetes neues Jahr!

Für die Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz:

+ Felix Gmür, Bischof von Basel


Papstpredigt über Peter Faber: Die Sehnsucht, die Welt verändern zu wollen

Nur die geistliche Unruhe ist der Antrieb, der auf den Weg Jesu führt. Das sagte Papst Franziskus am Freitag, den 3. Januar 2014, in seiner Predigt in der Jesuitenkirche «Il Gesù» in Rom während der Dankmesse für Peter Faber, den Franziskus am 17. Dezember 2013 per Dekret heiliggesprochen hatte. Franziskus hegt eine besondere Verehrung für ihn und ging auch in der Predigt auf den neuen Heiligen ein. Pater Faber sei, wie ein zweiter Daniel, ein Mann voller Sehnsüchte gewesen, so der Papst: Ein bescheidener, sensibler und tiefer Mensch, zitierte Franziskus seinen Vorgänger Benedikt XVI. «Vor allem war er ein unruhiger Geist, niemals zufrieden. Ein authentischer Glaube schliesst immer eine tiefe Sehnsucht ein, die Welt verändern zu wollen. Das ist die Frage, die wir uns stellen: Haben auch wir noch grosse Visionen und Schwung? Sind wir noch kühn? Wollen unsere Träume Grosses?» Das Gegenteil sei Mittelmässigkeit in der Seelsorge und in der Arbeit, so der Papst weiter. Die Kraft der Kirche liege nie nur in der Fähigkeit zur Organisation, sondern in den Tiefen Gottes, erinnerte er.

(Radio Vatikan D/ufw)

Felix Gmür

Felix Gmür

Mgr. Dr. Felix Gmür ist Bischof von Basel