Gemeinsam einsam

Gemeinsam einsam am Bahnhof Antwerpen/Belgien. (Bild: Bram Visser)

 

Der vorgegebene Titel hat mich kurz irritiert, dann aber merkte ich: Ja, mit «und» dazwischen ist es stimmig; für eine gesunde Balance braucht es beide Pole, die sich gegenseitig befruchten. Mir fiel das Wort Jesu ein: «Kommt mit mir an einen einsamen Ort, wo wir allein sind» (Mk 6,31). Schon die Jünger erlebten mit Jesus beides: gemeinsam und einsam. Er suchte auch bewusst die Einsamkeit: «… und ging an einen einsamen Ort, um zu beten» (Mk 1,35). Jesus hat nicht nur die Verlassenheit durch seine Jünger erfahren, sondern auch das Gefühl der totalen Gottverlassenheit: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen» (Mk 15,34). Das ist eine uralte Menschheitserfahrung, die auch in Psalm 22 auftaucht.

«Einsam» ist ein schillernder Begriff in der Farbe von Tiefschwarz im Schmerz, in tiefer Depression, in Vereinsamung und im Leid. Goldgelb leuchtet es im «gemeinsam einsam», in tiefer Gemeinschaft mit Menschen und mit Gott, in Ruhe und voller Zufriedenheit.

Für mich als Eremitin hat das frei gewählte «einsam» verschiedene Farben, so wie es in einem Morgenhymnus im Blick auf Christus anklingt: «Der Farben Fülle kehrt zurück ...» Zu meinem eremitischen Weg gehört die Sehnsucht nach einem tiefen Einssein in Gott, mit den Worten von Bruder Klaus: die Sehnsucht nach dem «einig Wesen». Für mich ist «einsam» auch mit Stille, Achtsamkeit und innerem Hören verbunden. Hören auf «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute» (Gaudium et spes 1), auf das, was mir in Seelsorgegesprächen oder schriftlich anvertraut wird und was ich durch die Medien höre. All das soll einfliessen in meine Kontemplation, in meine Fürbitte für die Menschen unserer Zeit, für die Bewahrung der guten Schöpfung, für den Frieden in der Welt. Zentral bleibt das stille Dasein vor Gott, mit leeren Händen, das innere Hören auf ihn.

Auch das «gemeinsam» gehört zu meinem Eremiten-Alltag, sei es in der Mitfeier der Gottesdienste, im spirituellen Austausch und in der inneren Verbundenheit mit Menschen und mit der ganzen Gemeinschaft der Heiligen.

«Gemeinsam» und «einsam» sind für mich wichtig, beide Pole haben ihre Berechtigung. Manchmal muss ich das «einsam» verteidigen, damit ich Orte und Zeiten der Stille habe, um das «gemeinsam» wieder leben zu können.

Fabienne Bucher*

 

* Sr. M. Fabienne Bucher (Jg. 1953) arbeitet seit 1990 im Bistum St. Gallen, zunächst als Pastoralassistentin, dann rund 20 Jahre als Spitalseelsorgerin am Kantonsspital St. Gallen. Seit 2011 ist sie Diözesan-Eremitin und weiterhin geistliche Begleiterin.